: Das Grauen kommt aus der Ketchupflasche
In der Akademie der Künste wurde über Zensur am Beispiel des „Videodrom“ diskutiert
Eine Anti-Zensur-Revue, um die Zensur Revue passieren zu lassen, dazu hatte die „Solidarisierungsinitiative Videodrom“ in die Akademie der Künste geladen. Schließlich hatten die drei Wochen, in denen die Kreuzberger Videothek geschlossen war, den Betreiber ca. 70.000 Mark gekostet, erklärte Thomas Klein vom Videodrom. Anekdotisches und Erfahrungen mit Medienzensur sollten an dem Abend in einer Podiumsdikussion noch einmal aufbereitet werden, aber zuerst wurden Ausschnitte aus den Filmen gezeigt, die von „19-jährigen Polizei-Azubis“ (Klein) ausgewählt wurden, um sie dann wochenlang bei der Staatsanwaltschaft zur Ansicht herumliegen zu lassen.
Dort wird man nicht schlecht gestaunt haben über „The life of Sid Vicious“ von „Mutter“-Sänger Max Müller und Nikolaus Utermöhlen. Was könnte man diesem Kunst-Film alles Verwerfliches vorwerfen: Kindesmissbrauch (der Sid-Darsteller war ca. 2 Jahre, seine Straps tragende Nancy-Partnerin ca. 7), verfassungwidrige Symbole (wie bekannt trug Sex-Pistols-Bassist Vicious am liebsten Hakenkreuz-T-Shirts) und überhaupt, ein Kleinkind in Mini-Springerstiefeln gießt Ketchup auf ein kleines Mädchen und pantscht mit Plastikspritzen herum.
Nach diesem Einführungsfilm und einer Erklärung von Moderator und Splatterfilmer Jörg Buttgereit konnte man sich anhand eines halbstündigen Zusammenschnitts aus beschlagnahmten Filmen selbst von ihrer skandalösen Wirkung auf erwachsene Menschen überzeugen: Tura Satana versucht in Russ Meyers „Faster, Pussycat! Kill! Kill!“ erfolglos, mit ihrem schicken Sportwagen einen Mann totzudrücken, Malcolm McDowell und seine Droogs vergewaltigen eine Frau in Kubricks „A Clockwerk Orange“, Marilyn Burns flieht in „The Texas Chainsaw Massacre“ vor dem Wahnsinnigen mit der Säge, abgeschnittene Köpfe glitschen in „Braindead“ auf dem Boden herum oder werden in elektrische Mixer gestopft. Erwachsenenfilme eben, Splatter, Horror, Dokumentarisches sogar wie bei Leni Riefenstahl, nichts für kleine Kinder, aber teilweise abends im Fernsehen zu sehen. Drei 16mm-Filme vom österreichischen Avantgarde-Filmer Kurt Kren zeigten dann, wie verbotene Filme in den 60ern aussahen. Besonders eindrucksvoll: Der Rosettenfilm, in dem ein Mann abwechselnd das vor der Kamera verrichtet, was der Amerikaner Nummer 1 und Nummer 2 nennt.
Danach startete die Diskussion mit dem Kren-Freund und Filmemacher Wilhelm Hein, Claudia Gehrke vom Konkursbuch Verlag, dem Titanic-Redakteur Christian Schmidt, der HdK-Professorin Gerburg Treusch-Dieter und noch ein paar mehr Filmliebhabern. Warum die eindeutig nichtsahnend und willkürlich ausgewählten Filme sowie die gesamte Computeranlage der Videothek beschlagnahmt und dem Unternehmen damit geschäftlich fast in ruinöser Weise zugesetzt wurde, das ließ sich aber auch hier nicht klären. Einig waren sich die DiskussionsteilnehmerInnen mit unterschiedlichen Zensurerfahrungen aber darüber: 1. Zensur erwirkt Aufmerksamkeit und ist darum eigentlich (für die Zensierenden) kontraproduktiv. 2. Voraussetzung für Kultur-Zensur scheint in den meisten Fällen zu sein, dass die „ausführenden Organe“ auf einem geringeren Wissens- bzw. Bildungsstand sind als die Kulturschaffenden (der Polizist, der „Holocaust“ mit Meryl Streep halt nicht kennt). 3. Dass man anstößige Werke mit einem „Kunst“-Etikett versehen muss, um es von der schwarzen Liste zu kriegen, ist lächerlich und zeugt von der Bigotterie des Systems. So ist es seit Jahrzehnten das Gleiche: Bei Zensur reichen sich Dummheit, Willkür, Eigeninteresse (der Beamte, der die Beförderung will), Intoleranz und Zufall die Hände und tanzen Ringelreihen. Jenni Zylka
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