piwik no script img

Lieder zwischen Kaffee und Kuchen

Wie man das berühmte Berlin-Feeling bekommt und dann wieder los wird: Mit Gitarren, Bass und Schlagzeug (aber ohne Stil) hat Herr Nilsson in einer Küche in Prenzlauer Berg die Hauptstadt entdeckt ■ Von Thomas Winkler

Ein durchgesessenes Sofa, ein paar Stühle, ein karger Tisch, ein bisschen Unordnung, in eine Nische ist die Dusche eingebaut. Dies ist eine Küche. Sie liegt in Prenzlauer Berg, und sie ist berühmt. Nun ja, vielleicht nicht richtig berühmt. Möglicherweise aber wird sie es ja einmal. Wenn Herr Nilsson berühmt wird.

Herr Nilsson ist eine Band, die in der Küche ihres Kontrabassisten Peter Herzau probt. Den Namen zur Band fand man, als sich der Nachbar bei fast jeder Probe in die viel zu enge Küche drängelte, unterm Arm Tee, Gebäck und allerlei gute Ratschläge. Und weil die Band damals noch ein Trio war und keinen Schlagzeuger hatte und weil Arne Erik Binger Nilsson in der Nachkriegszeit einmal in einem Swing-Sextett getrommelt hatte, schlug er den Rhythmus auf dem Küchentisch mit.

In die Band aufgenommen haben sie Herrn Nilsson nicht. Er war schon 71 Jahre alt, und auch sein Getrommel hat eher genervt. Aber den Namen hat Herr Nilsson von ihm. Und nicht etwa von Pippi Langstrumpfs Affen. Womit das schon mal geklärt ist.

Nun aber ist nichts mehr, wie es einmal war: Herr Nilsson, die Band, ist um einen Schlagzeuger gewachsen, und Herr Nilsson, der Nachbar, verschwunden. Hat sich wohl verliebt und ist ausgezogen. Seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört. In der verlassenen Wohnung wurden noch schwedische Lebensmittelkarten aus der Nachkriegszeit gefunden. Es ist das einzige, was Herr Nilsson von Herrn Nilsson geblieben ist. Deshalb heißt die neue Platte „Herr Nilsson ist ausgezogen“.

Blickt man aus dem Fenster der Küche, sieht man einen typischen Berliner Hinterhof. Was hübsch und auch passend ist. Denn Sänger Jan Böttcher bekennt sich in seinen Texten offensiv zum Staunen über die Stadt. „Als wir in die große Stadt kamen“, beginnt auf der neuen Platte ein Song namens „Falk“, der erstmals den gleichnamigen, für den Neuberliner unverzichtbaren Stadtplan würdigt.

Auch aufgenommen wurde zum großen Teil in der Küche – wie schon das ebenfalls selbst verlegte Debüt „Liebesleid und Fischigkeit“: Dort pumpt bei einem Stück im Hintergrund die Dusche das Duschwasser ab. Aber gespielt wird in der Küche nicht etwa, weil man sich keinen Proberaum leisten kann. „Die Lieder passen halt hier hin“, sagt Herzau, „zwischen Kaffee und Kuchen.“ Selbst als komplettes Quartett mit Sebastian Windisch an der Gitarre und Felix Bialluch am Schlagzeug ist man nicht sonderlich laut. „Der Low-Fi-Sound“ ist Absicht.

Gekommen waren die drei aus der Provinz, Mitte der 90er, aus Tübingen oder Lüneburg. Wie so viele andere fanden auch sie Heimstatt in Prenzlauer Berg, weil dort die Wohnungen billig und heruntergekommen waren. Seine Erfahrungen in der neuen Stadt und dem „Kleinstadt-Komplex“ verarbeitete Böttcher auf der Debüt-Platte in Texten, in denen seine Altbauwohnung mit zugiger Wohnungstür, „schimmeligen Einfachfenstern“ und im Winter vereistem Briefkastenschloß zur „Sado-Maso-Landschaft mit Kachelöfen“ wird. Vom Dach seines Mietshauses blickte Böttcher mit großen Augen auf sein Viertel und entdeckte den Umbruch einer Stadt. Und schrieb, wahrscheinlich als erster, einen verklärten Song über das Forum Hotel, die realsozialistische Bausünde.

Inzwischen ist Böttcher in einen renovierten Altbau gezogen. Man ist angekommen in der Hauptstadt und „kann einfach nicht viel über Baukräne schreiben“, glaubt er. Stattdessen denke er „jetzt wieder eher in Liebes- und Beziehungsliedern, eher Menschen als Stadt“. All das ist auf der aktuellen Platte dokumentiert. Allerdings auch, dass die Provinz nicht vergehen will. In „Unser Dorf“ werden noch einmal die Erinnerungen an die Vergangenheit im ländlichen Westdeutschland verarbeitet, in „Juliette“ die kindliche Liebe zum französischen Aupairmädchen. Böttchers Beobachtungen sind exakt, seine Verse allerdings umgehen manchmal nur mit knapper Not die Grenze zum Kitsch. „Es ist sentimental“, sagt Böttcher.

Das Klavier rollt romantisch, die Gitarren klimpern, mal könnte Reinhard Mey Pate gestanden haben, mal gar Jacques Brel. Erstaunlich aber ist, wie viele Stile man mit zwei Gitarren und Bass integrieren kann. Ein wenig Schlager, ein wenig Sprechgesang, reichlich Liedermacher, viel Jazz – und Angst vor Rock hat Herr Nilsson auch nicht. „Angst haben wir vor einem Stil“, sagt Herzau, „Angst vor der Langeweile.“

Herr Nilsson: „Herr Nilsson ist ausgezogen“ (KOOK/Kontakt: 446 23 39, www.herr-nilsson.de )

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen