: Andi, mach Signal!
In dem slowenischen Film „Express Express“ beginnt die große Liebe noch einmal in der Eisenbahn ■ Von Barbara Schweizerhof
Die große Ära der Eisenbahn ist eindeutig vorbei. Schon Buster Keaton musste in die Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs zurückgehen, um seinem Südstaateneisenbahner und Titelhelden, dem „General“, jenes heroische Pathos zu verleihen, das ihn erst der Komik würdig macht. Wer auf der Leinwand Freiheit und Abenteuer sucht, der nimmt heute jedenfalls nicht mehr die Bahn. Einem Meer an Roadmovies steht deshalb nur eine kleine Pfütze an Railmovies gegenüber. Denn die Eisenbahn verläuft in festen Gleisen, wird kontrolliert von uniformierten Beamten, und das größte Abenteuer, das sie zu bieten hat, die Zufallsbekanntschaft, besteht meist aus aufgezwungenen Gesprächen mit unangenehmen Sitznachbarn.
Trotzdem hält sich die Legende vom Beginn der großen Liebe im Zug hartnäckig. Igor Sterk, Regisseur von „Express Express“, der sich selbst als Fanatiker des Zugreisens bezeichnet, widmet seiner Leidenschaft einen ganzen Film: Boy meets girl on a train!
So schnell Züge heutzutage auch fahren, stets wird man die Bahn mit Gemächlichkeit assoziieren (nicht umsonst schaut in der DB-Werbung ein Genscher in Rente aus dem ICE heraus mit altersweiser Wehmut Flugzeugen hinterher). Gemächlichkeit und Nostalgie – schon sind wir in den Gefilden der ehemaligen K.u.K.-Monarchie Österreich-Ungarn, Heimat der schönsten Railmovies (man denke nur an Piroschka: „Andi, mach Signal!“) und der skurrilsten Beamten, die, wie einst bei Jiří Menzel, Züge ganz besonders scharf bewachen.
Diesmal also Slowenien, ein kleines Land weitab jeder ICE-Trasse. Wer sich hier ans Zugreisen verlieren will, muss öfters aussteigen – und das Abenteuer im Warten auf den nächsten Zug suchen, was manchmal die ganze Nacht dauern kann. Das hat durchaus Vorteile; wen das gemeinsame Fahren noch nicht zusammengeführt hat, den bringt gemeinsames Rumsitzen auf einsamen Bahnhöfen erst so richtig nahe.
„Express Express“ – anders, als der Titel vielleicht vermuten lässt – nimmt sich viel Zeit für seine Liebesgeschichte und auch für zahlreiche Figuren drum herum. Allerdings wird nur wenig geredet – fast glaubt man sich in einem Stummfilm, ist der Humor des Films doch von jener Sorte, die man mit „Ohne Worte“ untertitelt. Ständig scheint die Sonne gerade auf- oder unterzugehen, die Wiesen sind in sattes Orange getaucht: ein Spätsommertraum, in dem die Menschen alle ein wenig wunderlich werden.
So hat die weibliche Heldin denn auch keinen Rucksack als Reisegepäck dabei, sondern einen kleinen Nachttisch. Und auch der männliche Held ist ein wirkliches Original und keinesfalls mit einem simplen Interrailer zu verwechseln. Ja, mehr noch, er ist ein Rebell: Sein Ticket zahlt er immer nur bis zur nächsten Station, man weiß ja nie, was für Abenteuer dort auf einen lauern. Solch zielloses Verhalten verärgert natürlich die uniformierten Autoritäten. Da es aber nicht gegen Vorschriften verstößt – mit denen wird in den Bahnen der Welt immer sehr genau umgegangen –, kommt es nicht wirklich zum Konflikt.
Nach geraumer Zeit geht den Helden das Geld aus. Längst glaubt man sich an den Grenzen des kleinen Landes angekommen, doch für das Liebespaar gilt: Solange sie in einem Zug sitzen, ist ihre Liebe grenzenlos.
„Express Express“ versucht, so leicht und surreal zu sein wie etwa die Filme von Jaques Tati. An manchen Stellen gelingt das auch. Im Übrigen meist jenseits der Gleise. Die schönsten Szenen sind jedenfalls die, als zwei Züge wegen Baumstämmen auf den Schienen zum Anhalten gezwungen sind.
„Express Express“. Regie: Igor Sterk. Mit Gregor Bakovic, Barbara Cerar, Grega Cusin u.a. Slowenien 1997, 74 Min.
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