Karaoke-Anlagen im Tausch für ein Atommülllager

Taiwans Elektrizitätskonzern sucht im In- und Ausland nach einem Lager für radioaktive Abfälle. Das Versprechen zur Auflösung des bisherigen Lagers kann man nicht halten

Taipeh (taz) – „Die Nuklearabfälle bereiten uns Kopfschmerzen“, räumt Yu Sheng-hsiung schließlich ein, nachdem er Taiwans Atommüllprobleme zunächst 20 Minuten zu leugnen versucht hatte. Als Direktor des „Nuklear-Kommunikationszentrums“ des staatlichen Elektrizitätsunternehmens Taipower residiert Yu im 26. Stock des Taipower-Hauses, einem der mächtigsten Türme Taipehs und gelegentlich Ziel von Anti-Atom-Protesten. „Der Müll ist unser größtes Problem“, sagt Yu. „Durch Verbrennung und Komprimierung wollen wir die Nuklearabfälle reduzieren. Aber das ist nur bei schwachradioaktiven Abfällen möglich.“

Taipower betreibt an drei Orten in Taiwan sechs Atomreaktoren, die 1998 ein Viertel des elektrischen Stroms lieferten. Nach langem Streit ist seit Jahresbeginn ein weiterer Doppelreaktor in Kungliao, 40 Kilometer östlich von Taipeh, im Bau. Bis 2020 sind fünf bis sechs weitere Reaktoren an den bisherigen Standorten geplant.

Schon jetzt weiß Taipower nicht, wohin mit dem Atommüll. Während man den hochradioaktiven Müll direkt bei den Kraftwerken zwischenlagert, wurden von 1982 bis 1997 knapp 100.000 Fässer schwach- und mittelradioaktiven Mülls auf der Insel Lanyu („Orchideeninsel“) vor der Südostküste Taiwans gestapelt. Den 3.000 Anwohnern, Ureinwohnern vom Stamm der Yami, soll das inzwischen fast gefüllte Lager früher als Konservenfabrik schmackhaft gemacht worden sein. Von Taipower finanzierte Entwicklungsprojekte bis hin zu Karaoke-Anlagen ließen die Yami mitspielen. Doch 1995 vereitelten sie Pläne zur Vergrößerung des Lagers. Später blockierten Yami in traditionellen Lendenschurzen den Hafen und zwangen Taipowers Schiff mit Atommüllfässern zur Umkehr.

„Unter dem Druck der Öffentlichkeit haben wir die Einlagerung weiterer Fässer beendet und versprochen, den radioaktiven Müll bis 2002 von Lanyu zu entfernen. Aber das war zu optimistisch“, gesteht Yu. „Wir brauchen mindestens sieben Jahre, um die Fässer zu verladen und weitere vier, um das Gelände zu reinigen. Erst mal müssen wir überhaupt einen neuen Lagerstandort finden“, erklärt Yu das Dilemma. „Vielleicht müssen wir Lanyu mehr zahlen“, hofft er. Die Lieferung weiterer Karaoke-Anlagen sei keine Lösung, „aber eine Attraktion für die Menschen“. Schließlich müsse Taipower die Beziehungen mit der Kommune verbessern, aber Lanyu sei klein und könne kaum mehr Geld absorbieren. Auf der Suche nach Lagerstätten bot Taipower Berichten zufolge anderen Kommunen bis zu 116 Millionen US-Dollar, doch wurde man auf der erdbebengefährdeten Hauptinsel nicht fündig. Zur Zeit werde laut Yu die Eignung einer kleinen taiwanischen Insel vor der Küste des chinesischen Festlands geprüft. Doch frühestens in zehn Jahren könnte ein Lager dort betriebsbereit sei. Bei dem im Bau befindlichen vierten Doppelreaktor sei das Zwischenlager erst 2004 betriebsbereit und dann auf 40 Jahre ausgelegt. Zunächst müssten die Lager an den anderen Reaktorstandorten noch ausreichen, meint Yu. Für den hochradioaktiven Müll werde eine überirdische Lagerung in Castor-Behältern erwogen.

„Für die Entsorgung schwachradioaktiven Mülls müssen wir regional zusammenarbeiten“, sagt Yu. Doch bisher scheiterten Versuche, Atommüll zu exportieren, was Taiwans Umweltschützer ohnehin ablehnen. Gespräche mit Russland blieben ergebnislos, weil dort der Import von Atommüll verboten ist. Verhandelt wurde auch mit den Marshall-Inseln, zu denen das früher von den USA für Atomtests benutzte Bikini-Atoll gehört. Zu der Inselgruppe nahm Taiwan vergangenes Jahr diplomatische Beziehungen auf, doch seit dort die Regierung wechselte, gibt es keine Verhandlungen mehr. Diskussionen habe es auch mit Peking gegeben, sagt Yu. Aber als die Volksrepublik dies mit politischen Forderungen verband, habe Taiwan die Gespräche abgebrochen.

Am Weitesten kam Taipower mit dem stalinistischen Nord-Korea, das dringend Devisen braucht. Im Januar 1997 verkündete Taipower, man habe sich auf die Lieferung von 60.000 Fässern schwachradioaktiven Atommülls und die Option auf 200.000 weitere Fässer geeinigt. Doch nach internationalen Protesten und einem Aufschrei in Süd-Korea wurde der Deal ausgesetzt. Yu beharrt darauf: „Unser Geschäft mit Nord-Korea ist korrekt.“ Taipower werde zahlen, wenn Nord-Korea seinen Part erfülle. Proteste aus Süd-Korea sieht er gelassen, denn Süd-Korea habe auch Entsorgungsprobleme: „Arbeitet das Lager erst mal, werden die Südkoreaner auch Interesse haben.“

Yu verabschiedet sich mit einem Geschenk: ein Schreibset mit der chinesischen Aufschrift „Atomstrom – sauber und zuverlässig“ und ein silbernes Etui für Visitenkarten. Darauf eingraviert ist eine mitleidig lächelnde Comicfigur neben einem Atomzeichen und dem Satz: „Für den schwachradioaktiven Jungen ein zu Hause finden.“ Sven Hansen