: NS-Kitsch-Revival
Die Debatte um das Berliner Lichtspektakel zu Silvester ist charakteristisch für den Umgang mit NS-Symbolen ■ Von Gerd Kopper
Ende gut, alles gut.“ Dies scheint das Motto, unter dem das Lichtspektakel heute nacht rund um die Berliner Siegessäule nun stattfinden soll. Es wird eine abgespeckte, entdramatisierte, eher bonbonartige Fassung des Ursprungskonzeptes zu sehen sein.
Was ist dem ganzen Vorgang zu entnehmen? Lektion eins: Niemand scheint auf das kommerzielle Revival von NS-Ästhetik vorbereitet zu sein; vor allem nicht das entscheidende Personal – bis hinauf in die politische Spitze. Lektion zwei: Private Betreiber von Kunst und Events haben die geringste Hemmschwelle, Revival für harmlos zu halten. Lektion drei: Je mehr Politik sich aus Entscheidungen zurückzieht und sie privater Initiative überantwortet, um so härtere Weckerlebnisse wird uns die Revival-Welle liefern. Nicht zuletzt in der Hauptstadt Berlin.
Der Vorgang „Lichtdom Siegessäule“ hat den Vorzug eines Lehrstücks. „Kitsch in höchster Vollendung“ kennzeichne nicht nur die Ästhetik des Nazismus, sondern die Gefühls- und Vorstellungswelt ihrer Protagonisten, schreibt der Historiker Saul Friedländer. Demzufolge ist die Enttabuisierung der Naziästhetik, ihre Kommerzialisierung und ihre strategische Marktentwicklung mit einer Rückkehr des ultimativen „deutschen Kitsch“ verbunden. Und dieser Revival-Kitsch nistet in allen Winkeln, wuchert schimmelähnlich und erreicht die neue deutsche Hauptstadt gerade zur rechten Stunde: Berlin im Zeichen eines weltweit leuchtenden „Lichtdoms“.
Kein Kitsch ist ohne materielle und politische Funktion. Die Manie des Gigantomanen-Duos, Hitler & Speer, ihre Mega-Kitsch-Ideen durch die Ewigkeit heiligen zu lassen, war sogar in eine eigene NS-Theorie gegossen worden, genannt: „Theorie vom Ruinenwert“. Besondere Statik und Materialien mussten eine Ruinen-Anmutung von anbefohlener Empfindungshöhe sicherstellen. Die wichtigsten Neubauten im „Drittem Reich“ mussten diesem Planungsgrundsatz folgen. Speers Illustration eines Zeitraffermodells vom Zeppelinfeld, dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, als erhabene, mehrere hundert Jahre alte Ruine, hatte des Führers Herz zutiefst gerührt. Damit entsteht eine elementare Grundformel der NS-Kitsch-Ästhetik: der Ewigkeitsschauer.
Das Scheinwerferspektakel allerdings, später „Lichtdom“ genannt, zum Nürnberger Reichsparteitag erstmals erprobt, hatte seinen wahren Grund in einer charakteristischen Gestaltungslüge der Nazi-Bewegung: den kleinen und mittleren Bonzen fehlte die ideologisch propagierte Drahtigkeit und deutscher Heldenwuchs. In „Masse“ auf dem Parteitagsgelände aufgestellt, wie ursprünglich geplant, wären diese Bataillone von Schmeerbäuchen nur zu leicht als das erkannt worden, was sie darstellten: als Straßen- und Biergartenpöbel, auf dem die Schlagkraft der Hitler-Partei aufbaute.
Speers hilfreiche Idee war es, diesen Pöbel im Dunkeln antreten zu lassen und das Hauptaugenmerk von dort fort und himmelwärts ins Erhabene zu lenken. Dieser Propagandatrick gelang vorzüglich: „Gleichzeitig feierlich und schön, als ob man sich in einer Kathedrale aus Eis befände“, hielt der britische Botschafter Henderson fest, offenbar vollständig um seine eigene Beobachtungsfähigkeit gebracht.
Damit hatte der Kitsch seine Dynamik gefunden: Er ließ sich wunderbar zur aktuellen Propaganda einsetzen. Von dort zur Werbung ist nur ein kleiner Schritt. In der knallharten kommerziellen Linie sind Revival-Elemente schon jetzt immer wieder zu finden.
Der Lichtdom war für Speer die einzige Architekturleistung, die sogar das Ruinengesetz Hitlers übertreffen musste. Da diese Architektur keine Materialität zu besitzen schien, musste sie einen makel- und quasi geschichtsfreien Eindruck machen. Und damit haben wir das entscheidende dritte Element der Revival-Leichtigkeit von NS-Kitsch: Durch seine hohe technische Gestaltungsdichte signalisiert er nur zu leicht eine nahezu universelle und zweckfreie Eindrucksmächtigkeit. Der „Lichtdom“ ist deswegen nicht nur Symbol, sondern unmittelbarer Ausdruck der ästhetischen Perfidie, mit der er ausgearbeitet wurde. Er ist, so im Originalton des Erfinders nachzulesen, lebende Architektur und Ausdruck des „tausendjährigen Anspruches“, mit dem Hitler in Nürnberg den Untergang des aufgeklärten Deutschland angekündigt hat.
Und damit sind wir in der Gegenwart: Bezeichnend für die Qualität der neuen Enttabuisierungs-Offensive, die eine Wiederaufführung der Lichtarchitektur Speers in Gang setzte, ist die zur Schau gestellte „Coolness“ der Protagonisten. Sie stellen sich ganz gezielt keiner ernsthaften inhaltlichen Diskussion.
Die gerade gelaufene Berliner Debatte ist dafür charakteristisch. Die Mehrheit der wohlmeinenden aufgeklärten Demokraten und Zeigefinger-hoch-schaut-auf-unser-Deutschland-Protestwilligen allerdings glaubt, diesem Trend wäre vor allem mit einer inhaltlichen Diskussion beizukommen. Das ist ein Irrtum. Die wiederkehrende Behauptung der Akteure lautet schlicht: Mit NS-Artefakten oder gar -Inhalten hätten sie nichts zu tun. Natürlich ist genau das Gegenteil der Fall. Diese Leute sind weder dumm, noch sind es Weißwäscher, es sind Geschäftsleute – nämlich des Grauens. Entsprechend groß ist ihr künstlerisches Vermögen oder gar ihr intellektuelles Gewissen.
Mit dem Untergang des NS-Regimes hat sich ein klandestiner weltweiter Devotionalienmarkt für NS-Relikte entwickelt, mit auch heute noch steigenden Preisen. Dieser Markt drängt seit einiger Zeit in eine auf Legalität. Am leichtesten gelingt dies über die scheinbar „reine Form“, also unter bürgerlichem Etikett, und das heißt als „Kunst“ getarnt. Alle Vorwürfe eines Rückgriffs auf NS-Ästhetik werden dann heftig beiseite gewischt. Dies ist eine aufgesetzte und strategisch wichtige Pose, die des „Coolseins“. Sie liefert die unmittelbare Anknüpfung an die jetzige Jugendgeneration, die nur noch ausnahmsweise unmittelbare Erlebniszeugen der NS-Zeit kennt. Eine Generation, die nach emotionaler Vermittlung also geradezu lechzt.
Zwei Seiten der Revival-Strategie sind aufschlussreich. Die in diesen neuen Markt der Enttabuisierung lancierten Produkte müssen unverkennbar und ganz direkt an die ästhetischen Vorlagen der NS-Zeit anknüpfen, wobei entscheidend die passgenaue emotionale Stilisierung ist. Ebenso wichtig ist aber, dass die genutzte Vorlage tatsächlich eine Tabugrenze berührt. Erst diese zwei Elemente schaffen die Wirkung, die Markterfolg garantiert. Insofern gehören zur Durchsetzung der neuen Enttabuisierungsprodukte nicht nur die emotionssüchtigen und naiven Massen eines jungen Publikums, sondern ebenso sehr ein dichter und vehemter Pulk von Protestlern.
Die Vereinnahmung durch die neuen Geschäftemacher erfolgt also gezielt in diese beiden Richtungen. Sie bedienen einerseits die massenhaft vorhandene Naivität und füttern sie mit ihren Sprüchen von der vollkommenen Harmlosigkeit ihres Tuns. Und sie stacheln zugleich mit ihrer scheinbaren Borniertheit und glasklaren kommerziellen Linie, umso stärker die Zeigefinger-Protestler auf.
Ist deswegen der Protest falsch? Nein, er ist inhaltlich nur allzu berechtigt. Der Protest in dieser aufklärerischen Form übersieht nur eines: innerhalb des entwickelten Kapitalismus hilft gegen eine erfolgverheißende kommerzielle Linie niemals eine ausschließlich nur inhaltliche Diskussion.
Auch die Berliner Entscheidung hat das verdeutlicht. Die Lichtarchitektur, die ursprünglich den Übergang in das Jahr 2000 aus der deutschen Hauptstadt markieren sollte, sie war im Ausgangskonzept – gegen alle Behauptungen der Macher und der Verantwortlichen – natürlich nichts Neues und ganz gewiss nichts anderes als purer Speer. Gegen technische Perfektionierung und formale Verfeinerung hätte er nie etwas einzuwenden gehabt. Sie hat er mit Sicherheit sogar vorausgesehen. Der Markt verlangt, welcher Unternehmer wüsste das nicht, Qualität. Sie gelingt nur unter Verwendung der Vorlagen, und die liefert ausschließlich das Nürnberger Modell. Man erkennt es natürlich sogar noch in der Bonbonvariante, die jetzt geplant wird.
Zusätzlich bündelt diese Lichtarchitektur eine Wahrnehmungssteigerung aus dem Gegensatz von Dunkel und Licht in einer emotionalen Verdichtung von Erhabenheit und Gemeinschaftserlebnis.
Das Moment einer die Massen anleitenden Umlenkung der Blickrichtung spielte natürlich auch im jetzigen Berlin eine wichtige Rolle. Es drängt sich die Frage auf: Von welcher ideologisch unerwünschten genauen Beobachtung soll diesmal abgelenkt werden? Soll vielleicht der genaue Blick auf diese Republik abgelenkt werden? Auf ihre fadenscheinige Normalität, auf das Ausfransen eines Gemeinwesens an seinen Rändern und auf einen sich verstärkenden Verlumpungsprozess im Kern. Da braucht das Volk den Blick ins Erhabene. Nun bekommt es nicht einmal die volle Emotion. Und wer ist schuld ? Die Miesmacher, die Kritiker. So einfach ist das.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen