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Ein Krisenstab ganz ohne Krise

Silvester einmal anders: Im Innenministerium warteten 220 Beamte und 70 Journalisten vergeblich auf den Ernstfall. Nur die Handynetze waren kurz nach Mitternacht überlastet

Im Innenministerium dauert der Jahreswechsel vier Tage – bis zum Abend des heutigen Montags. Im zehnten Stock des Gebäudes am Moabiter Spree-Ufer wappnen sich etwa 220 Beamte des Jahr-2000-Krisenstabes mutig zum Kampf gegen den befürchteten Computercrash.

Auf riesigen Bildschirmen läuft der World Service von CNN, telefonisch halten die Beamten ständig Kontakt zu den deutschen Vertretungen im Ausland und Regierungsvertretern anderer Länder. Hier interessiert man sich nicht für das tosende Feuerwerk über Berlin und auch nicht für die aktuelle Besucherzahl auf der „Feiermeile“, sondern für die wesentlichen Fragen dieser Nacht: Wie wirkt sich der Datumswechsel auf Kernkraftwerke in Fernost oder auf russische Atomraketen aus? Und wie sicher ist die Strom- und Gasversorgung aus der Ukraine?

In der zum Pressezentrum deklarierten Kantine hoffen 70 Journalisten auf die heißen News vom Zusammenbruch. Das Team von RTL hält riesige Deutschland-karten bereit, um das Presse- blitzschnell zum Lagezentrum machen zu können. Tatsächlich beginnt der Silvestertag des Krisenstabes mit einer Panne: Der Stromgenerator des Technischen Hilfswerkes, der die Versorgung im Ernstfall sicherstellen soll, funktioniert nicht.

Aufgeregt hantieren die Blau-Uniformierten an dem überlebenswichtigen Gerät herum. Dann stellen sie eine Blockade der Dieselzuleitung fest, und dieses Problem ist schnell behoben. „Wir sind voll einsatzbereit“, verkündet einer der rund 30 Männer stolz. „Kommt der Crash“, sagt er weiter, „dann müssen wir nur noch das Kabel in den zehnten Stock schleppen.“

Das Kabel bleibt die ganze Nacht neben der dampfenden Gulaschkanone des Hilfswerks liegen. Schon drei Stunden vor dem Jahreswechsel ziehen die Ranghöchsten im Krisenstab eine positive Bilanz. Alfred Tacke, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, und seine Kollegin aus dem Innenressort, Brigitte Zypries, gesellen sich zur Journalistenschar in die Kantine. Bisher seien alle Länder, die den Datumswechsel bereits hinter sich haben, auf der großen Weltkarte des Krisenstabes grün markiert. Und das bedeutet: keine besonderen Vorkommnisse.

Nach Mitternacht dasselbe Bild. Einzig die Überlastung der Mobilfunknetze sorgt im Pressezentrum des Krisenstabes für leichte Aufregung. Um die wichtige Nachricht, dass es nichts zu berichten gibt, an die Redaktionen weiterzugeben, muss so mancher Journalist auf die vom Innenministerium in weiser Voraussicht zur Verfügung gestellten Festnetzapparate zurückgreifen.

Dann treten Tacke und Zypries wieder auf und verschaffen den lauernden Reportern Gewissheit. Dem Ausland habe man bereits gemeldet, dass in Deutschland alles funktioniert: die Computersysteme der Bundesregierung genauso wie die Infrastruktur in den Bereichen Energie, Verkehr und Telekommunikation.

Erst später verraten beide Staatssekretäre, dass die fehlenden Fehlfunktionen sie positiv überraschen. „Im kleinteiligen Bereich“ – etwa im Gesundheitswesen – und „in osteuropäischen Ländern“ habe der Krisenstab Probleme erwartet. Und schon lobt Zypries das Ausbleiben von Pannen als eigenes Verdienst: „Wir haben im Vorfeld große Anstrengungen unternommen, Testläufe gemacht und Unternehmen aufgeklärt.“

Im Pressezentrum lässt das Interesse am Krisenstab ohne Krise nicht nach: In Ermangelung von Katastrophenberichten schalten die Sender am Neujahrstag wieder und wieder ins Innenministerium, um den Zuschauern mitzuteilen, dass der Datumswechsel weltweit unspektakulär war.

So ist die Silvesternacht für die Stabsmitarbeiter ein Kraftakt. Mehr als zwei bis fünf Stunden Schlaf sind trotz Schichtplan nicht drin. Manch Beamter sieht zu Beginn des neuen Jahres so aus, als hätte er ein rauschendes Fest hinter sich. Dirk Hempel

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