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„Sehr klein, sehr leise, zuckersüß“

■ Harold Budd gilt als der Erfinder der Ambient Music, einer minimalistischen Hintergrundmusik. Er komponiert radikal einfache Musik. Manche seiner Werke sind so einfach, dass sie nicht aufgeführt werden müssen. Wenn (fast) nichts mehr da ist, wird plötzlich alles schön

taz: Sie gelten als einer der Erfinder von Ambient Music, einer Art dezenter Hintergrundmusik, der man zuhören kann oder auch nicht.

Harold Budd: Ich persönlich habe Probleme mit der Etikettierung. Ich arbeite an meiner Musik schon seit 30 Jahren, und sie war namenlos, bevor ich Brian Eno traf. Er nannte sie so, weil er seine musikalischen Interessen benennen wollte. Ich habe mich nicht weiter darum gekümmert, weil man mich schon verschiedentlich einsortiert hat: als alternativer Musiker, Underground-Künstler, Minimalist oder New Wave Artist.

Freut es Sie gar nicht, als Pionier geführt zu werden?

Ich verstehe die Zweckmäßigkeit des Wortes „Ambient“, um Schallplatten in den Läden auf die richtigen Regale zu stellen, aber abgesehen davon betrachte ich die Sache lieber aus einer gewissen Distanz. Manche Leute führen mich auch unter „New Age“, was mich derart zornig macht, dass ich am liebsten aufhören würde mit dem Musikmachen.

Lassen wir die Begriffe beiseite und reden über die Musik. Folgt sie einem Konzept, oder entwickelt sie sich beim Improvisieren?

Zuerst muss ich noch etwas gestehen. Ich bin kein orthodoxer Musiker und kann ausschließlich das machen, was man hört – nicht mehr! Ich spiele ein bisschen Klavier, aber unter keinen Umständen könnte ich Liszt oder Chopin spielen, ich bin kein ausgebildeter Pianist. Deshalb bewege ich mich als Musiker genau in die entgegengesetzte Richtung und versuche eine Empfindsamkeit zu schaffen, die sehr klein, sehr leise und einfach zu erzielen ist.

Ist moderne Musik nicht zwangsläufig vielschichtig?

Es bereitet mir keine Freude, hoch komplexe Kunst zu kreieren. Im Gegenteil: Mir gefällt diejenige Kunst am besten, deren Herstellung nicht viel Zeit und wenig Anstrengung erfordert, was mir viel menschlicher erscheint. Mir geht es um eine kindliche Einfachheit, gepaart mit einem Sinn für Proportionen.

Wann und warum gingen Sie in diese Richtung?

Radikal einfache Musik zu schaffen war anfangs ein politischer wie künstlerischer Gedanke. Einige meiner frühen Werke brauchten nicht einmal aufgeführt zu werden, so simpel waren sie. Etwa einen Gong für 24 Stunden immer nur leicht anzuschlagen. Alles, was man tun musste, war, die Anleitung zu lesen – das genügte. In den frühen 70er-Jahren begann ich mich dann von dieser eher konzeptionellen Kunst wegzubewegen und das Potenzial von ein paar altmodischen Ideen auszuloten, die vom Modernismus in den Mülleimer geworfen worden waren. Ich versuchte schöne Akkorde zu finden, reizende Klänge und hübsche Kombinationen von Klängen als politische Stellungnahme gegen die Avantgarde: aggressiv antiavantgardistisch.

War das eine Art Gegenmanifest?

Wen ich dabei im Auge hatte, waren die kalifornischen Avantgarde-Komponisten John Cage, Henry Cowell und Lou Harrison, diese Schule. Sie waren Pioniere einer neuen Art von Neuer Musik, die ebenfalls eine politische Stoßrichtung besaß und sich radikal gegen Europa richtete. Sie wollten eine eigenständig amerikanische Musik schaffen. Was dabei herauskam, war allerdings eine komische Mischung aus europäischer Musikbildung und chinesischer bzw. japanischer Philosophie. Doch das ist in Ordnung – auf der Welt ist für jeden Platz. Nur persönlich mag ich das nicht.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Minimalisten? Mir scheint, es gibt da Berührungspunkte, etwa was das Verhältnis zur Zeit betrifft.

Es besteht eine Affinität zur Musik von Terry Riley und Philip Glass, die ich beide sehr bewundere. Meine Musik ist nichts im Vergleich zu deren Musik. Ich komme jedoch nicht aus dieser Schule. Mein „Minimalismus“ ist nur insofern minimal, wie er eben sehr einfach ist.

Lässt radikale Einfachheit sich überhaupt weiterentwickeln?

Die 24-stündige Gong-Komposition ließ tatsächlich keine Steigerung mehr zu. Damit war dieser Ansatz erschöpft. Ich verstummte für einige Zeit. Ich musste einen neuen Anfang finden oder den Komponistenberuf an den Nagel hängen, was ich nicht wollte. Deshalb fing ich an das Potenzial einer bewusst schönen Musik zu erkunden, was Neuland für mich war. Ich erkannte bald, dass es Jahre dauern würde, bis diese Idee aufgebraucht sein würde – und sie trägt bis heute.

Ist simple Schönheit heute nicht ein ziemlich diskreditierter Begriff?

Ja, eine ganz altmodische Vorstellung. Was ich darunter verstehe, sind Klänge, die vollkommen oberflächlich sind, sehr blumig, zuckersüß, gänzlich dekorativ. Nur dekorativ!

Schönheit als Selbstzweck oder mit höherem Ziel?

Ich fühle mich nicht als Missionar. Ich will nichts vermitteln. Ich bin der Überzeugung, dass Musik kein gutes Medium ist, um Probleme zu lösen. Kunst funktioniert nicht außerhalb ihres eigenen Raums. Ich bin gegen die moderne Vorstellung von Kunst als Vehikel für alles Mögliche. Kunst um der Kunst willen ist schwierig genug. Ich gestehe gerne ein, ein dekorativer Komponist zu sein. Es gibt nichts hinter meiner Musik. Es ist keine Substanz da. Die Klänge sind nur Klänge, nichts weiter. Doch weil so wenig da ist, muss ich hart arbeiten, um genau das zu finden, was ich suche.

Bedeutet das, dass Sie für kein bestimmtes Publikum komponieren, für keinen Zuhörer?

Für mich ist Musikmachen ein Aspekt des menschlichen Daseins. Ich gestalte Musik eher wie jemand, der einen Raum gestaltet. Dabei würde ich zuerst lange Zeit damit verbringen, die Dimensionen des Raums zu analysieren, ihn wie Schatten während des Tages zu beeinflussen. Daraus würde ich eine Komposition von Farben entwickeln. Ich würde also nicht einfach in einen Laden laufen und gelbe Farbe kaufen, weil die gerade im Sonderangebot ist oder in Mode oder eine bestimmte psychologische Wirkung hat, und sie dann draufklatschen. Ich würde den Raum als die wichtigste Sache der Welt behandeln. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Leute, die diesen Raum betreten würden, überwältigt wären. Darum geht es mir nicht. Es muss nur mir gefallen, niemandem sonst. Allerdings habe ich nichts dagegen, wenn es anderen Leute ebenfalls gefällt. Ich habe beobachtet, dass meine Musik bei anderen Leuten ein eigenes Leben führt.

Sie haben auch mit Popmusikern zusammengearbeitet. Kam die Initiative von Ihnen?

Nein, eher durch Zufall. Im Fall von Andy Partridge von der Gruppe XTC war es ein gemeinsamer Freund, der uns zusammenbrachte. Er fragte ihn ohne mein Wissen, ob er jemals an eine Zusammenarbeit mit mir gedacht habe, und Andy war von der Idee angetan. Dann fragte er mich, und ich war völlig überrascht – ja schockiert. Es ist allerdings nicht allzu schwer, mit Leuten zusammenzuarbeiten, deren Arbeit man respektiert. Man versucht zwischen den beiden künstlerischen Polen einen Ort zu finden, wo eine eigenartige Blume wachsen kann, die man nicht zu wichtig nehmen sollte. Man findet dann meistens einen Bereich, auf den man allein nicht gestoßen wäre. Das ist dann wunderbar, und die Aufgabe ist erfüllt.

Gibt es Kooperationen, die fehlschlagen?

Dann werden sie nicht veröffentlicht. Im Fall von Andy Partridge muss ich eingestehen, dass ich nicht der größte Fan von XTC bin. Allerdings kommt Andy wie auch Brian Eno aus der bildenden Kunst, was sehr wichtig war. Wir hatten ein Konversationsthema und mussten uns nicht über Musik unterhalten.

Wie nehmen diese Kooperationen Form an? Trifft man sich einfach in einem Studio?

Nein, oft kommuniziert man via Fax über Monate. Man sucht nach einer konzeptionellen Idee, die ein gewisses Potenzial hat. Idee, Gedanken, Titel sind wichtig. Wenn man dann schließlich zusammenkommt, um gemeinsam Musik zu machen, benutzt man diese Ideen und Gedanken als Sprungbretter, um zu erkunden, wie weit sie tragen. Das ist die spannende Phase. Meist ist das Ergebnis nicht perfekt, aber gut genug. Mein Freund, der Komponist und Trompeter Jon Hassell, sagt immer, er arbeitet an einer Platte, bis sie gut genug ist. Das reicht, es muss nicht jedes Mal das Beste sein, was er jemals produziert hat.

Interview: Christoph Wagner

Gerade erschienen: Harold Budd/Richard Maxfield: The Oak Of The Bolden Dreams. New World Records 805552 CD Harold Budd: Luxa. All Saints Records ASCD 30 Harold Budd (with Zeitgeist): She Is A Phantom. New Albion Records NA066 CD

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