: Wenn der Boden plötzlich wegbricht
In einer Bochumer Wohnsiedlung klafft seit Sonntag ein Krater. Fünfzig Menschen wurden evakuiert.Grund ist vermutlich ein stillgelegtes Bergwerk. Regelmäßige Überprüfung gefordert ■ Von Marcus Meier
Mülheim (taz) – Große Aufregung in der Emilstraße in Bochum-Wattenscheid: Mitten in der idyllischen Wohnsiedlung, die über dem 1905 stillgelegten Schacht 4 der Zeche Annemarie liegt, klafft seit Sonntag morgen ein Krater. Vierzig Meter ist er breit und ebenso tief.
Um kurz nach neun Uhr hatte das Erdreich nachgegeben und nicht nur die Anwohner aus dem Schlaf, sondern zudem eine Garage samt Golf Cabrio in die Tiefe gerissen. Fünfzig Familien mussten in eine Turnhalle evakuiert werden. Nachbarn berichteten, dass 13 Meter hohe Tannen senkrecht im Boden versunken seien. Am Montag morgen verschwand eine zweite Garage in der Tiefe. Eine weitere Ausdehnung des Kraters droht, weswegen für die Sicherungsmannschaften „ein Wettlauf mit der Zeit“ begonnen habe, so ein Sprecher der Deutschen Montansicherung. Das Loch soll nun binnen der nächsten Tage mit 7.500 Kubikmetern Beton ausgegossen werden.
Der Bergschaden kam aus heiterem Himmel und überraschte auch Günter Korte vom Landesoberbergbauamt in Dortmund. Die Ursache müsse zunächst mit Hilfe von Bohrungen ergründet werden, sagte Korte der taz. Jedoch seien die rund 13.000 bekannten Schachtanlagen des Ruhrgebiets seiner Ansicht nach sicher. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien sie mit einem Betonkern ausgegossen worden. Ältere Schachtanlagen habe man mit Sand, Kies und Schutt ausgefüllt. Die Anlagen würden regelmässig überwacht. Korte: „Wir sichten zunächst Kartenmaterial; gegebenenfalls beauftragen wir ein Unternehmen, durch Bohrungen herauszufinden, ob der Untergrund sicher ist.“
Indes gäbe es rund 35.000 bis 45.000 unbekannte Schächte und Stollen aus den Zeiten des „alten Bergbaus“, die vor 1860 errichtet wurden, so der Bergaufsichtsbeamte. Über sie liegen kaum Unterlagen vor. Die Gefahr, die von ihnen ausgeht, sei „nicht einschätzbar“. Möglicherweise ist ein solcher „Kohleflöz“ auch der Grund für das Wattenscheider Loch.
Bei Bauanfragen im Ruhrgebiet wird von den Behörden überprüft, ob Absackungen drohen. So geschah es auch bei dem 1905 stillgelegte Schacht 4, wo keine der Probebohrungen Hinweise auf eine Gefährdung ergaben. Die Schachtanlage 4 sei zuletzt vor sieben Jahren überprüft und mit Zement nachgesichert worden, berichtet Korte.
Der energiepolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Rüdiger Sagel, hält diesen Zeitraum für zu lange. Er fordert, dass die stillgelegten Schachtanlagen des Ruhrgebiets alle zwei Jahre überprüft werden. Zudem müssten die vermessungstechnischen Unterlagen gründlich gecheckt werden. „Der Einbruch zeigt, dass die bisherigen Methoden zu ungenau sind“, so Sagel. Er will deshalb nun beim Grubensicherheitsausschuss des Landtags vorsprechen.
Dabei dürfte nicht zuletzt über eine Erhöhung des Etats des Landesoberbergbauamts zu diskutieren sein. Denn den sechs Bergämtern des Landes Nordrhein-Westfalen steht zur „Gefahrenabwehr“ ein jährlicher Etat von lediglich drei Millionen Mark zur Verfügung. Und für anfallende Kosten muss das Land aufkommen, es sei denn, die ehemaligen Grubenbesitzer werden gefunden. Im Wattenscheider Fall allerdings ist die Sache eindeutig: Die Veba wird als Nachfolgeorganisation des ehemaligen Bergwerksbesitzers für die Schäden geradestehen müssen.
Die nordrhein-westfälischen Bergämter verzeichnen pro Jahr rund fünfzig Bergschäden. Jedoch gilt jener von Wattenscheid als besonders schwerer Fall: „Meistens handelt es sich nur um leichte Vertiefungen“, so Siegfried Uwe Behrendt vom Landesoberbergbauamt.
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