piwik no script img

SurftippRückwärts undnicht vergessen

Für Historiker ging das 20. Jahrhundert 1989 zu Ende. Aber das Netz vergisst nichts. Die DDR lebt weiter, und nie war sie so bunt wie im Internet. Erich Honecker marschiert mit Rucksack und Schirm über die Webseite www.ddr-im-www.de. Dort ist nicht nur das Archiv der Onlinezeitung DDR-Update zu finden – die unter anderem über aktuelle Gerichtsurteile gegen DDR-Politiker berichtet –, sondern auch diverse Klangdokumente vom „Lied der Kampfgruppen“ bis hin zu Schabowskis Grenzöffnungs-Erklärung.

Damit wollen die Autoren – zwei Sachsen und eine Kieler Studentin – die DDR begreifbar machen und ihren „Beitrag zur Verständigung“ leisten, den Deutschland „bitter nötig“ habe. Offenbar gehört dazu auch, dass Erich Honeckers Personalausweis die Nummer A 000 000 1 trug und der Mann selbst seit 1980 den höchsten österreichischen Orden, den „Großstern zum Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich“.

Dabei hatte Erich als Junge eigentlich Lokführer werden wollen. Wäre er das nur geworden, aber es kam anders. Bei www.7-oktober.de gibt’s ein fröhliches „Willkommen zum 50. Jahrestag der Republik“. Die Seite richtet sich an alle, „die als wohlverdiente, langjährige Parteigenossen ihr Domizil in Frankfurt/Main und Umgebung fanden“. Rund 250 weitere Adressen gräbt die spezielle Suchmaschine www.ddr-suche.de aus. Damit lässt sich jedes DDR-Quiz gewinnen. Wer den Tagesablauf in einer DDR-Kaserne nacherleben möchte, dem verspricht ein Anbieter einen Abenteuerurlaub samt politisch-militärischer Ausbildung durch ehemalige Ost-Offiziere. Zwei Wochen DDR im Originalzustand inklusive Parteilehrjahr, Subbotnik und Überraschungen kosten 98 Mark. Anmeldungen sind tatsächlich möglich, das ist kein Witz.

Oder doch? An anderer Stelle im Netz sind Witze deutlich auch als solche ausgewiesen. Das Angebot ist so überreichlich, dass ihm ein Isländer seine ganze Website (www.saga.is/jon/ddr/) gewidmet hat. Für Ingvar Jonsson besteht kein Zweifel, dass die Welt nur darauf gewartet hat: „Zwei Besucher täglich können nicht irren.“ Jonssons Affinität zur DDR ist biografisch geprägt. Er habe es zwar bis zum Abi geschafft, aber sonst „nicht viel Gescheites gemacht“, schreibt er. „Sicher gefühlt“ habe er sich erst „hinter Mauern und Zäunen, also in der DDR“. Von seinem Studium in Dresden kehrte er mit einer Ehefrau, Kind und einem Grundstock an DDR-Witzen nach Island zurück.

Da der Sozialismus heuer keine aktuellen Gags mehr liefert, schickt der Isländer neben den Lachklassikern zusätzlich Besserwessi-Kalauer in die virtuelle Welt. Das dürfte die DDR-Exilregierung freuen. Ließ das „Offizielle Internetorgan der DDR-Staatsregierung im Exil“ doch vor kurzem verlauten: „Ein noch nie dagewesenes Elend schleicht wie die Pest durch unsere Heimat.“ Untermalt von den Tönen der Nationalhymne, erging der Aufruf „an alle DDR-Bürger, die keine Verräter waren: Kämpfen Sie für die Wiedererrichtung unseres Vaterlandes!“ Eine Grußadresse im Gästebuch lautet: „Das sozialistische Deutschland war das bessere Deutschland und wird für immer in unseren Herzen bestehen.“ Einem anderen Absender fiel dazu nur ein: „Habt Ihr einen an der Waffel?“

Gunnar Leue

Leue1@aol.com

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen