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Freie Fahrt für freie Bahnen

Schweden liberalisiert den Schienenverkehr. Noch herrscht Chaos für die Reisenden. Betreiber setzen auf Komfort und einfacheres Preissystem ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Der 10. Januar wird ein Tag der Revolution in Schwedens Eisenbahngeschichte: Das vertraute Symbol der schwedischen Staatsbahn SJ verschwindet aus der Hälfte des Landes. Private Zugunternehmen übernehmen ab dann den Personenfernverkehr in diesen Teilen Schwedens. Nach ersten vorsichtigen Gehversuchen im Personen- und Güternahverkehr vor einigen Jahren bricht die Zeit der freien Konkurrenz nun auch für den bislang „heiligen“ Fernverkehr an.

Geogragisch gesehen verschwindet die SJ aus weiten Teilen nördlich von Stockholm und an der Westküste. Schweden ist damit – nach Großbritannien – das zweite europäische Land, das sein Eisenbahnnetz nahezu umfassend der Privatisierung öffnet. Womit auch hier die Epoche des staatlichen Eisenbahnmonopols endgültig zu Ende geht. Und schnell ging es.

Und schnell ging es: Erst im Sommer bekamen die verschiedenen privaten Gesellschaften, die in den Ausschreibungen für die einzelnen Strecken über die SJ gewonnen hatten, Bescheid, dass sie ab 10. Januar allein für deren Betrieb verantwortlich seien. Für Schienen und Signalsystem sorgt weiterhin das (noch-)staatliche „Banverket“. „Das war schon etwas knapp“, gesteht Verkehrschef Johan Masgård von der privaten Betreiberfirma BSM , die von einem kleinen Güterverkehrsbetrieb über Nacht zu einem Serviceunternehmen wachsen soll, das für den Zugverkehr im zentralen Teil von Südschweden zuständig ist.

Positiv war die Eile zumindest für die SJ-Angestellten, die nun meist mangels genauerer Rationalisierungsuntersuchungen von der Privatkonkurrenz relativ pauschal übernommen werden.

Für die Reisenden jedoch bedeutet die freie Konkurrenz zunächst einmal Chaos. Bei SJ bekommt man für die fraglichen Strecken keine Fahrkarten mehr, und die SJ-Jahreskarte gilt plötzlich nur noch für halb Schweden. Für längere Fahrten sehen sich die Reisenden gezwungen, ihre Fahrkarten telefonisch unter verschiedenen Nummern bei mehreren Unternehmen selbst zusammenzustückeln. Noch bis kurz vor Weihnachten konnte man keinerlei Tickets für die Zeit nach dem 9. Januar buchen.

Nun hat man provisorische Lösungen gefunden, doch eine gemeinsame Fahrkartenverkaufsorganisation steht noch aus. Unklar ist auch, wie internationale Pauschaltickets wie „Interrail“ und „EuroDomino“ gelten sollen.

Geografisch bedeutet die Liberalisierung vor allem für Nordschweden eine gewaltige Umstellung. Die private „Tågkompaniet“ übernimmt den Zugverkehr auf den auch bei ausländischen Touristen beliebten, aber bislang meist rote Zahlen schreibenden über 1.000 km langen Strecken von Göteborg und Stockholm nach Lappland und weiter ins norwegische Narvik. Bei der „Tågkompaniet“ glaubt man, mit neuem Schwung das zu schaffen, was die träge, zentralistische und primär auf Geschäftskunden setzende SJ versäumte: Mehr Komfort, ein einfacheres Preissystem, eine lokale, nordschwedische Prägung sollen den Verkehr gewinnträchtig machen. „Wir wollen uns auf Reisende einstellen“, so „Tågkompaniet“-Chef Björn Nyström, „die ihre Fahrkarten selbst bezahlen müssen.“ Dort, wo bislang der legendäre „Lapplandspil“ (Lapplandpfeil) am Bahnsteig wartete, werden bald Schlaf- und Panoramawagen, die früher beim „Orientexpress“ oder dem „Rheingold“ Dienst taten, die Reisenden empfangen. Vor Jahren von SJ eingemottete Verbindungen sollen wieder aktiviert und die Fahrzeiten besser an Kundenwünsche angepasst werden. Für die Reisenden scheint die Liberalisierung also zunächst einmal bessere Zeiten zu bedeuten.

Die Frage ist nur, was Resultat der „Revolution“ sein und dann vom Eisenbahnnetz übrig bleiben wird, wenn die optimistischen Bilanzhoffnungen doch nicht aufgehen sollten.

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