: Jargon der Uneigentlichkeit
Soziologie als Orientierungshilfe: Richard Sennet eröffnet eine Vortragsreihe im Schauspielhaus über die Zukunft der Arbeit ■ Von Roger Behrens
Während der Kapitalismus sich aus den Fugen liberalisiert und in die Krise flexibilisiert, hat das Schauspielhaus unter der Hauptfrage „Alles Kunst?“ zehn Reden im Programm, die der Untertitelfrage sich zuwenden mögen: „Wie arbeitet der Mensch im neuen Jahrtausend und was tut er in der übrigen Zeit?“
Eingeladen sind „Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Berufen, über diese und ähnliche Fragen öffentlich nachzudenken.“ Es werden wohl höchstens ähnliche sein, hoffentlich: Von Lee Smolin (20.2.) will man wissen, was es mit der „Theory of Everything“ auf sich hat, von Daniel Libeskind (26.3.) interessiert seine Architektur der Erinnerung, Ingo Metzmacher (30.4.) soll über Gustav Mahler reden – jedenfalls stehen die Kompetenzen, die sich mit den zehn Rednern verbinden, und die inhaltliche Ausrichtung des Programms, die sich in einem Absatz gut referierter Marxlektüre erschließt, im Kontrast. Catherine David (2.7.) – übrigens die einzige Frau in der Reihe – wird vielleicht noch luzide erörtern, ob denn nun „alles Kunst“ sei. Aber für das beachtenswert konkret bemerkte Problem, dass dem Kapitalismus unwiederbringlich Arbeit und Geld ausgehen, hätte man sich wohl eher Redner gewünscht wie Roswitha Scholz (Das Geschlecht des Kapitalismus) oder Robert Kurz (Schwarzbuch Kapitalismus). Selbst Gregor Gysi (28.5.) ist nun nicht gerade als Krisentheoretiker hervorgetreten, wenn auch von ihm hier die politisch radikalsten Töne zu erwarten sind.
Eröffnet wird die Vortragsreihe von Richard Sennett, der sich zumindest mit seinem Jargon aufdrängt, wenn er vom „neuen Kapitalismus“ und dessen „flexiblen Menschen“ sprechen wird, die alle vom „Drift“ erfasst sind, einsam, beziehungs- und zielos, aber trotzdem voller Ideen und Initiative, dem System wenigstens den Anschein von Gelingen und Sicherheit zu geben. Der an der New York University lehrende Soziologe, der vor einiger Zeit bereits das Ende der Soziologiei verkündete, hat dieses Verdikt mittlerweile über seine eigenen großen Untersuchungen wie Die Tyrannei der Intimität oder Fleisch und Stein verhängt und betreibt seine eigene Popularisierung. Jedenfalls klingt sein letztes bekanntes Buch Der flexible Mensch schon im Titel der Originalausgabe The Corrosion of Character nach Sensation oder Ratgeber, also nach Orientierungshilfe, die die Soziologie der Massenleserschaft populär anbietet, aber wohl doch als Popularisierung des Soziologen für sich selber gedacht ist.
Sennett zum Problemfeld „Arbeit und ihr Ende“ respektive „Kapitalismus und sein Ende“ einzuladen, liegt scheinbar zunächst auf der Hand: „Drift. Wohin treibt der neue Kapitalismus“ sollte das Buch auch erst in der Übersetzung heißen, anspielend auf die These eines Dahintreibens der Menschen. Das klingt zunächst vortrefflich nach Diskussion der Problematik der Vortragsreihe: „Das Reich der Freiheit begänne dort, wo die Notwendigkeit der Arbeit aufhört, schreibt Marx. Die Notwendigkeit hört bereits auf, aber die Freiheit fängt noch nicht an. Wie vergegenständlicht sich der Mensch jenseits des Geldes? Können wir uns eine Gesellschaft vorstellen, in der es hieße: jeder nach seinen Fähigkeiten und jedem nach seinen Bedürfnissen?“
Sennett legt eine Betrachtungsweise der Gesellschaft nahe, die es möglich macht, die von Marx aufgeworfenen Probleme zu diskutieren, ohne den radikalen Befund einer notwendigen Umwälzung der Gesellschaft zu teilen. Jedenfalls wäre es eine Überraschung, wenn Sennett sich am 9. Januar auf eine Kritik der Politischen Ökonomie einließe.
Sonntag, 15 Uhr, Schauspielhaus; weitere Redner der Reihe: Jan Philipp Reemtsma (6.2.), Mathias Greffrath (12.3.), Luk Perceval (9.4.), Detlef B. Linke (4. 6).
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