: Pause nach zwanzig Minuten Zeitungskrieg
Wie viele Gratiszeitungen will eine Stadt? Köln sollte bis vorgestern drei haben. Nun herrscht Druckstille ■ Von Pascal Beucker
Nach rund einem Monat und einem Jahreswechsel herrscht wieder Ruhe auf den Straßen und Plätzen von Köln. Seit Donnerstag bevölkern das Stadtzentrum keine blauen, roten oder weißen Kampftruppen mehr. Und auch die rund 500 Zeitungsboxen, aus denen wochenlang Zeitungen wimmerten: „Nimm mich, ich bin umsonst!“, stehen nur noch einsam und verlassen in der Gegend herum. Waffenstillstand im „Kölner Zeitungskrieg“. Die nächsten Showdowns finden erst einmal nur noch vor Gericht statt.
Die Entscheidung des Schibsted-Verlages, das Erscheinen seiner Gratistageszeitung 20 Minuten Köln vorerst vollständig einzustellen, kam überraschend. Bisher hatten die Norweger immer noch einen Trick gefunden, die diversen einstweiligen Verfügungen, die der Axel Springer Verlag und der Verlag M. DuMont Schauberg gegen 20 Minuten erwirkt hatten, virtuos zu umgehen. Auch nach der Entscheidung des Berliner Landgerichts vom vergangenen Dienstag gegen die kostenlose Verbreitung von 20 Minuten erschien das Blatt am folgenden Tag noch unverdrossen. Bis zur Revisionsverhandlung vor dem Kammergericht, so kündigte Chefredakteur Klaus Kelle an, werde die Zeitung allerdings möglicherweise nur noch „an ein, zwei oder drei Tagen in der Woche“ erscheinen. Am späten Mittwochnachmittag entschieden sich Verlag und Chefredaktion dann doch anders. „Wir wollen zunächst eine für uns positive Entscheidung vor Gericht erreichen und dann den Kampf auf dem Markt für uns entscheiden“, begründete Schibsted-Sprecher Hans Erik Matre die vorläufige Einstellung.
Umgehend stoppte auch Springer sein Gratisprodukt Köln extra. Ganz so, wie es schon vor einigen Wochen Springer-Sprecherin Edda Fels angekündigt hatte: „Sobald 20 Minuten aufgibt, werden wir Köln extra wieder einstellen.“ Drucken ließ es Springer trotzdem – als Vorsichtsmaßnahme, um nicht von Schibsted ausgetrickst werden zu können. Auch DuMont verzichtete auf seine publizistische „Abwehrmaßnahme“, den Kölner Morgen, der am Donnerstag erstmalig erscheinen sollte.
Begonnen hatte der „Zeitungskrieg“ am 9. Dezember letzten Jahres. Auf einer Pressekonferenz kündigt der Schibsted-Verlag an, dass am folgenden Dienstag 20 Minuten Köln das erste Mal in einer Auflage von 150.000 Exemplaren erscheine. Die von einer rund 20-köpfigen Redaktion erstellte Gratiszeitung werde „weder ein Anzeigen- noch ein Boulevardblatt“ sein, sondern vielmehr eine „seriöse, aktuelle Morgenzeitung“, sagt Chefredakteur Klaus Kelle. Rund 9,5 Millionen investiert Schibsted in das Blatt, die gleiche Summe steuert eine Investmentbank bei.
Der Axel Springer Verlag nimmt als erster öffentlich die „Kriegserklärung“ an. „Wir schauen nicht tatenlos zu, wenn jemand den Markt kaputt machen will“, erklärt Springer-Sprecherin Fels und kündigt die Herausgabe von Köln extra, einer eigenen Gratiszeitung, an. M. DuMont Schauberg, der mit seinen zwei Tageszeitungen Kölner StadtAnzeiger, Kölnische Rundschau und dem Boulevardblatt Express den Kölner Markt beherrscht, schweigt. Er hatte schon im Vorfeld versucht, Schibsted den Garaus zu machen, in dem er beispielsweise dafür sorgte, dass die Skandinavier keine Druckerei in der Umgebung fanden – doch die wichen ins benachbarte Holland aus. Das private Radio Köln, an dem DuMont beteiligt ist, lehnt Werbespots für 20 Minuten mit der Begründung ab, es habe „kein Interesse daran, Medialeistung einem potenziellen Wettbewerber zur Verfügung zu stellen“. Werbespots für Köln extra werden hingegen gesendet.
Springer will Schibsted übertölpeln und bringt sein Köln extra bereits am Montag, den 13. Dezember, auf den Markt. Als leitender Redakteur fungiert der alte Springer-Boulevard-Haudegen Willi Schmitt. In dem Blatt selbst erfährt der Leser nichts über den „Kölner Zeitungskrieg“. Köln extra ist halt einfach plötzlich da. Die Norweger ziehen mit. 24 Stunden früher als angekündigt erscheint die erste Ausgabe von 20 Minuten Köln.
Am folgenden Tag reagiert auch DuMont. Der Markführer lässt von Mitarbeitern „freiwillig“ eine kostenlose Light-Version seiner Boulevardzeitung Express als „Leseprobe“ verteilen. „Alles für den Express!“, gibt DuMont ihnen als Losung für den Subbotnik am frühen Morgen mit auf den Weg. 25 Tonnen Papier prasseln mit den nun 400.000 Kostenlosexemplaren auf die Kölner nieder. 20 Minuten richtet eine „Altpapier-Hotline“ ein. Wenn irgendwo größere Mengen der Zeitung rumlägen, würde sich eine „Aufräumtruppe“ darum kümmern.
Auf die Beschwerden von U-Bahn-Fahrgästen, sie würden von aggressiven Zeitungsverteilern belästigt, reagieren die Kölner Verkehrsbetriebe in den folgenden Tagen mit Unterlassungsaufforderungen an die drei Verlage. Schibsted kann sich freuen, denn er hat ja seine Boxen in den U-Bahn-Stationen, die Konkurrenz muss sich andere Verteilplätze suchen. Bereits nach einer Woche ist die Auflage der beiden Boulevardblätter Bild und Express deutlich zurückgegangen. Nachdem sich Kioskbesitzer heftig beschweren, stellt DuMont seine Express-Leseprobe wieder ein und verteilt stattdessen Gratisgutscheine. Die können gegen eine Express-Ausgabe am Kiosk eingetauscht werden.
Nun beginnt der juristische Wettstreit. Am 17. Dezember erwirkt Springer vor dem Berliner Landgericht die erste einstweilige Verfügung gegen Schibsted, die am 21. 12. gültig wird. Die Verteilung von Gratiszeitungen sei „wettbewerbswidrig“, argumentiert Springer. 20 Minuten erscheint trotzdem weiter – allerdings mit dem Aufdruck: „kostenlose Probe-Ausgabe“. Dagegen erwirken DuMont vor dem Kölner und Springer vor dem Berliner Landgericht erneut einstweilige Verfügungen. 20 Minuten erscheint weiter, verzichtet aber nun auf die Lokalberichterstattung, um nicht als „vollwertige“ Tageszeitung zu erscheinen und so das Verbot zu umgehen. Gleichzeitig teilt es auf den ansonsten weiß bleibenden lokalen Seiten mit, die Verlagshäuser Springer und M. DuMont Schauberg verhinderten durch ihre juristischen Maßnahmen die Veröffentlichung von Stadtnachrichten. Das verursacht am 30. Dezember die nächste einstweilige Verfügung von Springer – wegen „falscher Anschuldigungen“. Am 4. Januar bestätigt das Berliner Landgericht die einstweilige Verfügung vom 17. Dezember. Das bedeutet das vorläufige Aus für 20 Minuten.
Aufgeben will Schibsted dennoch nicht. Der Verlag hat inzwischen Rückendeckung vom renommierten Internationalen Presseinstitut (IPI) in Wien erhalten. Die Entscheidung der Berliner Richter sei „bedenklich und unverständlich“, erklärte IPI-Leiter Johann Fritz. Hier seien offensichtlich wirtschaftliche Interessen über grundgesetzlich geschützte Werte gestellt worden. Mit einer solchen Begründung könnten auch „offensichtlich werbefinanzierte und daher gratis verbreitete TV-Programme verboten werden“. Schibsted geht fest davon aus, dass das Landgerichtsurteil wieder kassiert wird. Die Stimmung in der Redaktion sei gut, so 20 Minuten-Chefredakteur Kelle. So können sich die Kölner darauf freuen, schon bald wieder gleich mehrere kostenlose Tageszeitungen in der U-Bahn konsumieren zu können. Und 20 Minuten Köln kann die Zeit bis dahin nutzen, um weiter an ihrem Konzept zu feilen.
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