: Wenn diese Tüte malen könnte
We kehr for you: Die BSR stellt Künstler aus, die sich mit Recycling beschäftigen
Vom Hype ums Millennium ist vor allem eins übrig geblieben: Abfall. Folgerichtig wurde das „Müllennium“ ausgerufen. Müll ist aber nicht gleich Müll, wie die Berliner Stadtreinigungsbetriebe mit ihrer Werbekampagne bewiesen haben. Es kommt darauf an, was man daraus macht. „Trennen, Sammeln und Rückführen in den Produktionskreislauf“ – so werden aus Rest- wieder Rohstoffe. Und mehr: Drei Künstler fabrizierten für eine Ausstellung der BSR „Kunst aus Müll“, die jetzt im S-Bahnbogen am Bahnhof Jannowitzbrücke gezeigt wird.
Im Zentrum steht ein Weihnachtsbaum. Doch nichts mit grünen Nadeln: Die Äste eines echten Tannenbaums sind mit billigen Plastiktüten umhüllt, die aussehen wie vom Chinaimbiss. Statt Kerzen haben Dodi & Flori Reifenberg Lautsprecher aufgesetzt. Lämmer blöken, Glocken bimmeln und dazu „Om“-Laute, von Weihnachtsliedern unterlegt. Die beiden, Israeli und Franzose, verweisen darauf, dass der Brauch, einen Weihnachtsbaum zu schmücken, ursprünglich nichts mit dem Fest zur Geburt Jesu zu tun hat, sondern aus heidnischer Zeit stammt. Zudem ist der Weihnachtsbaum längst zum Synonym für hysterischen Konsum verkommen – und kein Kaufrausch ohne Plastiktüten. Wenn Tüten erzählen könnten, hat sich Dodi Reifenberg gedacht und zur Schere gegriffen und viele zerschnippelt. „Berlin Wieviel“ zeigt Strichcodes. Was die Stadt wert ist, bleibt offen: Denn die Codes kann nur ein Rechner lesen.
Eine andere Arbeit zeigt einen männlichen Torso inmitten von auseinandergepflückten Werbebotschaften. Die Slogans sind ohnehin austauschbar, deshalb hat Reifenberg gleich zusätzliche Recycling-Tipps aufgeklebt, im Zentrum der Grüne Punkt, der aber rot ist. Dazu der Hinweis des Umweltbundesamtes, dass „mehrfach verwertbare Tragetaschen ökologisch günstiger zu beurteilen als Papiertragetaschen“ sind. Die Absolution für alle Plastiktütenträger.
Auch Pablo Reese von Lichtenberg hat etwas gegen die Wegwerfmentalität. Der Amerikaner ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Müllverwerter und gibt weggeworfenen Dingen einen neuen Sinn. Wie Robert Rauschenberg kombiniert er Materialien, Farbe und Stoffe über- und nebeneinander. So bildet ein Foto den Mittelpunkt von „The Postman’s Daughter“: Drei Mädchen, wohl um die Jahrhundertwende fotografiert, ein Schlüssel, tote Wespen, Musiknoten und Schriftfetzen („Ich bin ein deutsches Mädchen“) sowie Zahnräder aus alten Uhrwerken. Mit solchen Assemblagen zeigt Reese selbst Müll aus geschichtlicher Vorzeit in einem anderen Licht: Nichts ist wertlos, schon gar nicht Dinge aus vergangenen Zeiten.
Für die Arbeit „Karo“ verwandelte er die Innenseite eines Schrankes in einen Setzkasten. Neben Schnipseln der Verpackung einer Karo-Zigarettenschachtel finden sich Textfragmente, Zollstock und Rudimente einer Rechenmaschine. Früher rechnete man mit Hilfe farbiger Holzkugeln oder im Kopf. Heute reicht dafür ein kleines billiges Ding aus Plastik und Metall. Und so was landet schnell wieder auf dem Müll.Andreas Hergeth
Bis 12. Februar, Mo.–Fr. 11–18 Uhr, BSR-GebrauchtwarenHaus im S-Bahn-Bogen 3, Holzmarkstraße 19–24
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