Ökolumne
Giganto-Fusionen und Gates-Umstieg ändern daran wenig
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Internet bleibt frei

Bill Gates zieht sich auf den strategischen Feldherrenhügel zurück und die richtig großen Konzerne drängen nun mit Macht ins Internet – die Großfusion von America Online mit Time Warner ist ja laut Einschätzung der meisten Experten erst der Anfang. Der Computer- und Internetwirtschaft steht also wieder einmal einer ihrer berüchtigt rasanten Entwicklungsschübe bevor.

Warum Bill Gates ausgerechnet jetzt und warum überhaupt er vom Vorstandsvorsitz von Microsoft auf den Chefposten im Aufsichtsrat wechselt, darüber kann viel spekuliert werden. Wenn der reichste Mann der Welt mit seinen etwa 100 Milliarden Dollar Vermögen sich beruflich verändert, merkt jeder auf. Natürlich ist sein Image angekratzt nach seinem bornierten Verhalten beim Microsoft-Prozess: Wer sich auf die Fragen eines US-Bundesrichters erkennbar dumm stellt, hat bei den derzeitigen Vergleichsgesprächen mit den Regierungsbehörden nicht unbedingt die besten Karten. Der Wechsel signalisiert hier frühzeitige Planung: Gates bleibt ja auch bei einer eventuellen Zerschlagung der derzeitigen Microsoft in zwei oder drei „Baby Bills“ der Hauptaktionär des Konglomerats, könnte dann also eventuell der Aufsichtsratschef der drei Teil-Software-Schmieden werden – wenn die richterlichen Auflagen das zulassen.

Soweit die Propagandamaschine Microsoft überhaupt zu durchblicken ist, dürfte das Kartellverfahren aber nicht der Hauptgrund für den Amtswechsel von Gates sein. Laut Gates selbst will er das machen, was er „am besten kann“, er will der „Oberste Software-Architekt“ des Konzerns und damit der gesamten Software-Branche sein. Und genau hier besteht auch dringender Bedarf bei Microsoft. Hier wartet ein Aufgabe, die selbst für einen Gates eine Nummer zu groß sein könnte. Denn der alles beherrschende Riese der Personalcomputer, der Bestimmer der Software-Standards für Privatleute und weiter Teile der Wirtschaft hat es bisher nicht geschafft, das Internet in den Griff zu bekommen.

Wenn Gates und seine Microsoft AG der wertvollste und profitabelste Konzern der Welt bleiben wollen, müssen sie es irgendwie schaffen, eine globale Software à la Windows auch im Internet durchzusetzen. Danach aber sieht es überhaupt nicht aus. Denn alle Beteiligten haben ja das Beispiel Microsoft im Bereich Personalcomputer vor Augen – sie werden verzeifelt versuchen, die Vorherrschaft von wem auch immer zu verhindern. Netzwerker wie Cisco, Internet-Branchenbücher wie Yahoo!, Softwarefirmen ebenso wie Elektronikkonzerne – niemand will die vielleicht wichtigste Zukunftsbranche einer einzigen Firma und ihren Verbündeten überlassen.

Und das Internet ist auch viel größer als die Welt der kleinen PCs. Bald werden alle großen Industrien samt Zulieferern über das schnelle Netz handeln. Die Vision des Bill Gates – exklusive Microsoft-Programme für alles was im Internet kreucht und fleucht, vom Kühlschrank über das Handy, von E-Mails und den Schreibtischcomputern bis zu den Lagerhallen – kommt zu spät. Sie ist heutzutage einfach zu umfassend, als dass sie noch akzeptiert würde. Microsoft müsste seinen Standard schon offenlegen und allen zur Verfügung stellen – mit den Monopolprofiten wäre es dann aber zum Teil vorbei.

Die Fusion von America Online mit Time Warner birgt in dieser Hinsicht sowieso kaum Gefahren, so groß die Aufregung darum auch sein mag. Der größte Medienkonzern ist jetzt mit dem größten Online-Dienst verheiratet – das ist keine Kleinigkeit, gut. Aber es gibt noch andere Mediengrößen, die gefragten Inhalt ihr Eigen nennen – von Walt Disney bis zu Bertelsmann oder der South China Morning Post. Und America Online ist hauptsächlich in Nordamerika der Größte. In anderen Weltgegenden hingegen surfen Inder, Deutsche oder Franzosen meist mit anderen Providern.

Die Fusion von AOL mit Time Warner ist also eher ein Signal für die Medienbranche: Die dortigen Matadore müssen sich rechtzeitig den Zugang zum neuen Vertriebsweg Internet sichern. Sonst geht es ihnen so wie den deutschen Zeitungs- und Zeitschriftengrößen, die vor Jahrzehnten den Sprung ins Privatfernsehen verpasst haben und sich nun über die Profite von RTL und Co ärgern. Genug Platz wäre eigentlich für alle in der neuen Multimedia-Internetwelt. Doch Leute wie Bill Gates sind mit einem Teil des Kuchens nicht zufrieden, es muss schon die ganze Sahne sein – wie soll man sonst auch Billionär werden?

Reiner Metzger