piwik no script img

■ Die Anzahl der Drogentoten steigt und niemand weiß, warum

Alle tappen im Dunkeln. Wenn es um die Ursachen für den erneuten Anstieg der Zahl von Drogentoten geht, werden in Politik, Verwaltung und Sozialarbeit kollektiv die Achseln gezuckt. Allein die Zahlen sind klar: Im Zeitraum von Januar bis Oktober 1999 registrierte die zuständige Senatsjugendverwaltung 172 Drogentote. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 139. Mit dieser Entwicklung liegt Berlin im Bundestrend: Seit 1993 gab es in Deutschland nicht mehr so viele Drogentote wie im vergangenen Jahr.

Als Drogentoter zählt dabei nicht nur, wer durch eine Heroin-Überdosis oder durch Mischkonsum stirbt. Registriert wird auch, wer unter Rauschgifteinfluss bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, wer an den Folgen von Drogenkonsum wie etwa Aids oder Hepatitis stirbt oder wer als drogenabhängig gilt und Selbstmord begeht.

„Wenn man die Entwicklung über einen längeren Zeitraum betrachtet, sieht man eine Wellenbewegung“, sagt die Landesdrogenbeauftragte Elfriede Koller. 1991 sei die Anzahl in Berlin mit 242 Drogentoten sehr hoch, 1994 mit 108 relativ niedrig gewesen. „Wir wissen die Ursache dafür nicht“, sagt Koller, „das ist nicht erforscht.“ Wie auch viele Praktiker der Drogenhilfe sieht sie zwei Entwicklungen: den Anstieg des Mischkonsums und die Beteiligung des Ersatzstoffs Methadon. Immer häufiger nehmen Süchtige nicht nur Heroin und Kokain, sondern dazu Alkohol, Tabletten und auch Methadon. Bei 56 – also fast jedem dritten der Toten – wurde Methadon festgestellt, aber nur 22 von ihnen wurden mit dem Ersatzstoff substituiert. Die anderen müssen es vom Schwarzmarkt haben.

Christian Jellinek ist Arzt in der Kreuzberger Methadonambulanz, wo knapp hundert ehemalige Junkies den Ersatzstoff bekommen. Manche von ihnen müssen dafür täglich kommen, andere können die Ration für eine Woche mitnehmen. Jellinek glaubt, dass manche Ärzte mit dieser „Take-Home-Regel“ und der psychosozialen Betreuung der Substituierten zu locker umgehen. Er weiß, dass viele Substituierte nicht nur saufen, sondern auch andere Drogen konsumieren. Besonders gefährlich sei – nicht nur für Substiutierte – dabei das Psychopharmaka Rohypnol, das in Kombination mit Alkohol zu Kontrollverlust und hohem Risikoverhalten führt. „Man setzt sich dann viel zu schnell den nächsten Schuss“, sagt Jellinek. Er wirft einigen seiner Kollegen vor, „das Zeug tonnenweise auf Privatrezept“ zu verschreiben.

Michael Hoffmann-Bayer vom Drogennotdienst sieht dringenden Forschungsbedarf: „Wir haben nur eine Vorstudie von Anfang der 90er-Jahre.“ Interessant sei, dass die Zahlen bundesweit bei unterschiedlichen drogenpolitischen Ansätzen steigen. „In Frankfurt und Hamburg, die im Vergleich zu Berlin fortschrittlich sind, nehmen die Drogentoten ebenfalls zu.“ Sabine am Orde

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen