: Niederschmetternde Botschaften
■ Seit 25 Jahren saldiert das ARD-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ zwischen Gut und Böse. Ihren utilitaristischen Charme hat die Sendung mittlerweile aber längst eingebüßt
Früher, ja früher war die Sache doch einfacher. Da gab es hie die Politik und Bednarz von „Monitor“ und dort die Wirtschaft und ihre Prüfer von „Plusminus“. Im rhythmischen Wechsel sorgten sie sich im Namen der ARD um das Wohl der Republik. Während einem aber Bednarz mit seinen düsteren Geschichten über „die da oben“ (Flick! Dioxin! Brentspar!) eigentlich nur die gute Laune verderben konnte, lieferte „Plusminus“ einen reellen Gegenwert für die dahingegebene Fröhlichkeit: Durch die Tipps und Hinweise war das Zusehen immer auch eine nützliche Angelegenheit.
Die Television ist flüchtig, der Konsument fahrig
Zugegeben, im Fernsehen kommen die richtigen Ratschläge nie zur rechten Zeit. Wie oft saß ich schon nach einem detailreichen Bericht über Erbschaftsteuertricks vor dem Bildschirm und dachte: Stimmt, du solltest endlich mit deinen Eltern reden. Nur: Wenn sich die Gelegenheit dann schließlich ergab, hatte ich alle Finessen des Steuerwesens längst wieder vergessen.
Die Television ist flüchtig, der Konsument fahrig. Letztlich also ist das Fernsehen kein guter Ratgeber. Auch der Bericht neulich in „Plusminus“, nach dem so genannte Ident-Teile eine Autoreparatur bei gleicher Materialqualität deutlich billiger machen können, kam zu spät. Der neue Auspuff hält ja wieder zwei Jahre, und bis dahin habe ich bestimmt vergessen, dass diese „Ident-Teile“ im Gegensatz zu so genannten Nachbauteilen vom gleichen Zulieferer auf den gleichen Fließbändern hergestellt werden wie die Originalbauteile der Autohersteller. Oder war es doch umgekehrt?
Überhaupt das Vergessen! Längst haben die Wirtschaftsberichte ihren utilitaristischen Charme eingebüßt. Nun gut, die ZDF-Konkurrenz „Wiso“ stemmt sich noch tapfer gegen die Globalisierung und reduziert die Komplexität internationaler Wirtschaftsmärkte auf die Überschaubarkeit eines interaktiv animierten Steuersparbuchs. Aber die ARD ist ja der Publikumssender für die Informationselite (was freilich ein Widerspruch in sich ist) und gefällt sich also auch inmitten größter kaufmännischer Unüberschaubarkeit noch in der rechtschaffen- investigativen Pose. Und so hat „Plusminus“ inzwischen das Bednarz-Schicksal ereilt: Nur noch niederschmetternde Botschaften! Schlampende Beamte sind nicht regresspflichtig. Castorbehälter sind nicht sicher. Die Treuhand half dem Osten nicht. Ohnmächtig sitzt du davor und kannst nicht ändern, was die da oben mit deinem Leben hier unten so anstellen. Wie hilflos wirkte Anfang des Jahres die Geste von Karstadt, nach einem „Plusminus“-Bericht über giftverseuchte Sporttrikots eine bestimmte Sorte Nike-Shirts aus den Regalen zu räumen. Schon Tage später stritten sich die Experten, wie gesundheitsgefährdend die von „Plusminus“ in Erfahrung gebrachte TBT-Belastung eigentlich sei. „Keiner muss sein Fuballhemd wegschmeißen“, zitierte prompt der Spiegel einen Experten des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz (doch beruhigend, was es alles gibt). Räumen die Verkäuferinnen nun all die schwarzgelben Hemdchen wieder ein?
Grenzwert, Kundenvertrauen, Komplettverbot. Mit ihrer besorgten, vielleicht aber auch nur voreiligen Recherche hat die „Plusminus“-Redaktion eine Lawine losgetreten. Die rast nun durch ganz andere, zunächst schnellere, später dann weit langsamere Medien den publizistischen Hang hinunter ins Tal des Vergessens. In den Tageszeitungen, Nachrichtenmagazinen, schließlich Fachzeitschriften wird in der nächsten Zeit mit abnehmender Aufgeregtheit darüber debattiert werden, ob die Schwermetallverbindung Tributylzinn den Menschen wirklich impotent macht oder doch nur die Pupurschnecke. Für uns Fernsehzuschauer bleibt freilich eine diffuse und deshalb nicht mehr zu revidierende Verunsicherung. Wieder einmal sollten wir etwas besser nicht kaufen. Was war es noch? Fußballtrikots von Nike, Sportbodys von Rodeo, Socken von Falke, Radlerhosen von Bike Plus und Setila Antibakplus.
Fernsehen bildet durch tröstliche Anschaulichkeit
Wer kann das schon behalten? Etwas ganz anderes beflügelt freilich seitdem meine Fantasie: Einer der befragten Experten erklärte zu der Gefährlichkeit von TBT, bereits weniger als ein Nanogramm TBT pro Liter mache die Purpurschnecke impotent. Diese Konzentration entspreche einem Würfelzucker, den man im Wasser des Starnberger Sees auflöst. Was für ein Bild! Tröstlich ungefährlich. Und so herrlich anschaulich. Nun kann ich mir endlich merken, was ein Nanogramm ist. Fernsehen bildet eben doch. Aber eben ganz anders, als die Veranstalter von Ratgebersendungen es sich wünschen. Klaudia Brunst
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