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„Die Sprache ist getötet“

■ Bei den Wahlen in Kroatien hat sich die junge Generation als Subjekt konstituiert.Ein Gespräch mit dem als Kultusminister vorgeschlagenen Dramatiker Slobodan Šnajder

Die letzten zehn Jahre des 20. Jahrhunderts verbrachte der kroatische Dramatiker Slobodan Šnajder im Exil, hauptsächlich in Deutschland und in Frankreich. Seine Stücke waren auf den Bühnen Tudjman-Kroatiens unerwünscht. Zu hören war seine Stimme dennoch, genauer, zu lesen: Fünf Jahre veröffentlichte er jeden Montag einen seitenlangen politischen Kommentar in der Tageszeitung Novi List. Von Journalisten aufgekauft, agierte dieses kritische Blatt von Rijeka aus als Korrektiv zur gleichgeschalteten Zagreber Presse und erreichte landesweit Auflagen, die jene der regimetreuen Tageszeitungen bei weitem übertrafen. Vor allem die intellektuelle Jugend Kroatiens interessierte sich für Informationen jenseits der offiziellen Berichterstattung.

Blättern wie Novi List und ihren Mitarbeitern ist es zu danken, dass sich heute, nur wenige Wochen nach Tudjmans Tod, ein kompletter Stimmungswandel in Kroatien bemerkbar macht, für den der Sieg der Opposition bei den Parlamentswahlen nur ein sichtbares Indiz darstellt. Schon scheint sich anzudeuten, dass der Nationalismus der vergangenen Jahre gerade von der jüngeren Generation seit längerem abgewählt war.

Im vergangenen Oktober kehrte Šnajder nach Kroatien zurück. Sein jüngstes Stück, „Der weiße Schwan“, eine scharfe Parabel auf das mafiose System des Tudjmanismus, wurde außerhalb der Hauptstadt zum umjubelten Erfolg. Mittlerweile gab es auch Angebote an den Dramatiker, der sein Denken durch die kroatische Version von 68 sowie durch Adorno und die Kritische Theorie geprägt charakterisiert, das Amt des Kultusministers zu übernehmen. Für die kommenden drei Monate aber wird er Kroatien erneut den Rücken kehren, um in Wien an einem neuen Theatertext zu schreiben.

taz: Herr Šnajder, momentan scheint Kroatien vor einem demokratischen Neuanfang zu stehen.

Šnajder: Ja, in einem gewissen Sinn haben wir das Gefühl, nun an einem Nullpunkt zu stehen, vergleichbar mit dem Nullpunkt in Deutschland 1945. Es ist unglaublich, mit welcher Geschwindigkeit im Augenblick der Tudjmanismus gemeinsam mit Tudjman zu Grabe getragen wird. Vor drei Wochen noch war die Atmosphäre eine vollkommen andere. Als Tudjmans Tod sich ankündigte, hatte ich als oppositioneller Intellektueller Angst, Tudjman könnte nach seinem Tod als abwesender Gott regieren, als Deus absconditus. Das war falsch. In Windeseile ist Tudjman fast unbekannt. Das war mit Tito anders.

Dennoch wurden in zehn Jahren Fakten geschaffen, die auch nach Tudjmans Tod weiterbestehen. Die ethnischen Säuberungen, die „Kroatisierung“ der Sprache.

Es gibt viel zu tun. Wie nach jedem Krieg gibt es Verluste geistiger und materieller Art. Und ich bin absolut sicher, dass in Kroatien die geistigen Verluste größer und schwerwiegender sind als die materiellen. Man wird die Häuser wieder herrichten, den Tourismus wiederbeleben, die Firmen werden arbeiten. Kulturell ist das schwieriger. Die Sprache beispielsweise ist heute getötet, ideologisch. Sie funktioniert nicht mehr. Es geht um die Idee der Sprache. Die Dichter, Philosophen, Intellektuellen haben hier genauso viel zu tun wie die Politiker. Vielleicht sogar mehr. Die Politiker werden sich schon arrangieren. Aber wenn ich von geistigen Verlusten spreche, habe ich konkrete Menschen im Kopf, konkrete Werke. Viele haben mitgemacht, geschrieben, was die Machthaber hören wollten. Sie haben selbst die Sprache der Ideologie gesprochen. Nun muss man sehen, wer für die Kunst definitiv verloren ist, wer nicht. Wir haben in Kroatien hunderte dieser Schreibtischtäter, die verantwortlich sind für die Entwicklungen der letzten Jahre. Es gibt viele, die sich für Götter hielten und nun bereits sagen: „Ich habe das nicht gewollt“, wie Gott am Ende der „Letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus.

Dennoch sind Sie optimistisch?

Ja, ich habe momentan ein gutes Gefühl für Kroatien. Nun kann man endlich von „Erneuerung“ sprechen. Zwar hat man schon unter Tudjman von der „geistigen Erneuerung Kroatiens“ gesprochen, das war Tudjmans Lieblingswort. Doch nun kann man mit einer gewissen Glaubwürdigkeit davon reden. Denn das wirklich Erfreuliche an den Parlamentswahlen Anfang des Monats ist die Tatsache, dass der eigentliche Wahlsieger keine Partei ist. Die reklamieren natürlich den Erfolg für sich, aber der wirkliche Sieger dieser Wahl ist die jüngere Generation zwischen 20 und 30, die versucht hat, sich politisch zu gebären, sich als Subjekt zu konstituieren. Es ist der Sieg einer jungen, urbanen Kultur gegen Berge und Hinterland. Der Sieg ist transpolitisch. Kroatien hat sich verjüngt. Und das ist gut, wichtig für die Atmosphäre, diese Öffnung. Wir brauchen Urbanität.

Wie sind Ihre Prognosen für die Zukunft?

Noch muss man die Präsidentenwahl am 24. Januar abwarten, die noch Gefahren birgt. Wird der Falsche Präsident, ist der ganze Effekt vorbei, verpufft. Denn der Präsident hat noch immer diese starke Position. Tudjmans Partei kann die Macht erhalten. Es herrscht aber eine Sehnsucht nach einer Normalität jenseits der Extreme. In die Tradition der Sozialdemokratie beispielsweise, die momentan erstarkt, wurde in Kroatien noch nicht investiert. Und die liberalen Parteien sind stärker als in Deutschland. Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass wir in einigen Jahren zwei Volksparteien haben – Sozialdemokraten und Liberale – und mehrere kleine Parteien. Ob das gut ist, weiß ich nicht, aber es ist offensichtlich die Richtung.

Man soll Ihnen das Amt des Kultusministers in der neuen Regierung angeboten haben. Werden Sie zusagen?

Nein. Ich möchte nun endlich wieder praktisch am Theater arbeiten. Das ist meine Sehnsucht. Zehn Jahre habe ich verloren.

In Ihrem „Kroatischen Faust“ von 1981 nehmen Sie viele Entwicklungen der Tudjman-Zeit vorweg: Ethnische Säuberungen, die „Reinigung“ der Sprache. Er wurde in vielen Ländern gezeigt, stand aber bis heute noch auf keinem kroatischen Spielplan. Denken Sie, es wird in absehbarer Zeit möglich sein, ihn in Kroatien zu spielen?

Der „Kroatische Faust“ sollte meiner Meinung nach im kroatischen Nationaltheater aufgeführt werden, mitten in Zagreb. Natürlich wird er nie ein Stück sein, das besonders glücklich macht. Aber es ist nötig. Das ist vielleicht eine Frage der nächsten Generation. Es gibt eine Frage darin, die immer gilt. Die Frage der Intellektuellen, wie sie sich entscheiden. Das funktioniert auch hier. Klaus Mann hat in seinem „Mephisto“, den ich damals noch nicht kannte, genau dasselbe thematisiert.

Auch „Schlangenhaut“ (1994) wird es schwer haben auf kroatischen Bühnen.

Darin geht es um die Massenvergewaltigungen während des Krieges; in Kroatien wurde es noch nicht gespielt. Im Gegensatz dazu gab es in Belgrad bereits ein Gastspiel der Mülheimer Inszenierung von Roberto Ciulli. Damals verließen ca. 50 Zuschauer sofort das Theater, demonstrativ. Die anderen aber blieben. Das war ein Triumph. Und: nicht eine einzige Frau ist gegangen.

Die Offenheit gegenüber der Auseinandersetzung mit solchen Themen wird zu den wesentlichen Prüfsteinen des Demokratisierungsprozesses zählen.

Genau. Die Glaubwürdigkeit der Erneuerung wird sich bemessen an der Beziehung der politischen Garnitur zur Kultur. Wirtschaft lässt keinen Spielraum. Sie ist determiniert durch die Bedürfnisse, durch die Fehler, die bereits gemacht wurden. Kultur ist, wie immer, ein Raum der Freiheit. Um einen Ausweg aus einer ausweglosen Situation zu finden, muss man sehr kreativ sein. Wir sind nun in einer solchen Situation.

Cornelia Niedermeier

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