: Hans Eichel wirbt für Europa
Bundesfinanzminister hofft auf europaweite Zinssteuer. 2006 will er ohne Neuverschuldung auskommen und mit dem Geld die Rentenkassen sanieren ■ Von Katharina Koufen
Berlin (taz) – „Wenn ich in London bestimmte Worte in den Mund nehme, ist das wie eine Kriegserklärung“, erzählte Bundesfinanzminister Hans Eichel am Mittwochabend bei einer Veranstaltung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Oder noch schlimmer: „Dann bin ich dort, wo Oskar Lafontaine aufgehört hat.“ Nämlich in der Schublade, in die der ehemalige Finanzminister gesteckt wurde – als „gefährlichster Mann Europas“. So schimpfte ihn die britische Presse wegen seiner als überholt empfundenen nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik.
Kapitalertragssteuerharmonisierung – so heißt das Reizwort, das bei den Briten so unpopulär ist wie ein kontinentales Frühstück. Und das den EU- Finanzministern beim Gipfeltreffen im Dezember vergangenen Jahres in Helsinki mal wieder die Grenzen der europäischen Integration vor Augen führte: „Wir sind fünfzehn Mitgliedsstaaten, und da gibt es eben fünfzehn nationale Interessen“, hat Eichel ganz richtig erkannt. „Natürlich möchte jede Regierung mit einem Erfolgserlebnis nach Hause zurückfahren.“
So schieden sich in Helsinki die Geister an der Frage, wie künftig mit den Zinsen aus Kapitalanlagen umgegangen wird: Sollen sie in allen EU-Ländern gleichermaßen besteuert werden? Diese so genannte Abgeltungssteuer wäre eine Lösung, mit der der Kontinent leben könnte. Nicht aber die Insel: Dort will man bestimmte Anlageformen, etwa die Eurobonds, steuerfrei halten, um die Anleger nicht zu vergraulen. Stattdessen schlagen die Briten vor, dass jeder ausländische Investor in London registriert wird und sein Kapital zu Hause zu dem dort üblichen Satz versteuert.
Der Finanzminister hofft, dass der Einstieg in die europaweite Zinsbesteuerung in diesem Jahr gelingt. Doch „besser eine lückenhafte Lösung aller 15 Länder gemeinsam als Komplettstrategien im Alleingang“, findet Eichel. Denn im Gegensatz zu seinem Vorgänger ist er von der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion überzeugt – und trägt deshalb auch deren Konsequenz, ohne zu murren: der Verzicht auf eine eigene Geldpolitik und damit der Verzicht auf konjunkturbelebende Zinssenkungen.
Seit dem 1. Januar 1999 hat Wim Duisenberg, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), das Steuerrad in der Hand. „Immerhin“, so der Finanzminister, „ können wir Deutschen einfacher damit leben als einige andere Staaten: Schließlich war die Bundesbank auch schon vor Beginn der Währungsunion weisungsunabhängig.“ Aber, so wirbt der Minister um Verständnis für seine Sparmaßnahmen, die EZB habe eben die Interessen der gesamten Union im Auge, nicht mehr nur die deutschen. Eine Anspielung auf die Zinserhöhung vom letzen November: Die passte so gar nicht zur hiesigen Konjuntur, die gerade dabei war, sich zu erholen. Da hatte die Angst vor Inflation in einigen EU-Ländern bei der EZB überwogen.
Von der europäischen Integration „die ja ganz entscheidend vom wirtschaftlichen Erfolg abhängt“, kommt Eichel zu den Konvergenzkriterien der Wirtschafts- und Währungsunion: Geldwertstabilität und Haushaltsdefizit. Derzeit drohe keine Inflationsgefahr in Europa, die im Maastrichter Vertrag festgelegte Obergrenze von zwei Prozent werde im EU-Durchschnitt unterschritten. Die Neuverschuldung, die nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen sollte, liege derzeit bei durchschnittlich 1,6 Prozent. Sechs Mitgliedsstaaten schrieben bereits schwarze Zahlen in ihrer Jahresbilanz.
Vorbildlich, lobt der Finanzminister, sei Dänemark: „Es hat seit 1993 sein Defizit von drei Prozent in einen Überschuss von drei Prozent verwandelt und wird bis 2007 schuldenfrei sein.“ In Deutschland sei man zu diesem Zeitpunkt gerade erst so weit, den laufenden Haushalt ohne neue Schulden ausgleichen zu können, „aber da müssen wir auch die finanzielle Belastung durch die Wiedervereinigung bedenken“. Dieses Jahr, hofft Eichel, werde erstmals das Wirtschaftswachstum mit den anvisierten drei Prozent höher ausfallen als die Neuverschuldung. „Ab nächstem Jahr“ – der Minister reißt demonstrativ seine Arme auseinander P „wird der Unterschied zwischen Wachstum und Verschuldung immer größer.“
Die Dänen schlagen mit diesem „Marsch aus der Schuldenzahlung“ zwei Fliegen mit einer Klappe: Das Geld, das durch die eingesparten Zinsen frei wird, zahlen sie in ihre Rentenkassen. Fazit: Sparen ist gut. Und Eichel ist bei seinem Lieblingsthema anglangt. Eigenlob für die „umfassendste Steurreform“ seit Kriegsende, für die „spürbare Entlastung der Schlechterverdienenden. Und dann doch noch einmal kurz eine Remineszenz an Lafontaine: Wie wichtig es sei, die private Nachfrage zu stärken – nicht nur in Deutschland. Eichel gibt sich als überzeugter Europäer: „Unser Schicksal ist der gesamte europäische Binnenmarkt.“
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