: Blumen für Berlin: Die ganze Welt hilft mit
Berlin hat einen schlechten Ruf, was die Qualität der Blumen angeht. Sind etwa ehemalige FU-Seminare wie „Faschismus von Topfblumen“ schuld daran? Die Ostberliner waren da blumenbewusster. Seit der Wende wird die Konkurrenz im Blumengeschäft immer härter ■ Von Helmut Höge
Blumen gehören zu den schon lange globalisierten Produkten, dementsprechend umtriebig müssen die Blumen-Großhändler sein. Es gibt zwölf Großmärkte am Stadtring, von denen die Einzelhändler ihre Ware beziehen. Hinzu kommen Blumenmärkte, die nicht nur den Wiederverkäufer, sondern auch den Endverbraucher bedienen und meist als Cash-&-Carry- oder Garten-Center firmieren. Daneben erweitern die Supermärkte, Tankstellen und Heimwerkermärkte ihr Blumenangebot.
Schlechte Zeiten also für den Fachhandel, die Blumenläden in Berlin, sollte man meinen. Zumal die Leute bei steigenden Lebenshaltungskosten zuerst an den Blumen sparen. Andererseits kommt es laufend zu neuen Büro- und Geschäftseröffnungen sowie Umzügen von Verbänden, Vereinen und ganzen Ministerien. Der Markt ist in Bewegung, wie man so sagt.
Allein das kleine Auswärtige Amt (AA) gibt etwa 200.000 Mark jährlich für Blumen aus. Alle Rednerpulte und Veranstaltungen sowie Büfetts werden mit Pflanzen bzw. Tischgestecken geschmückt. Außerdem bekommen der Minister, die zwei Staatssekretäre und die zwei Staatsminister regelmäßig frisches Grün auf ihre Schreibtische. Das wird über das Protokoll abgerechnet. Diese ganze Blumenpracht versteckt sich hinter unterschiedlichen Haushaltstiteln, etwa bei Restaurantabrechnungen, sodass eine genaue Angabe über die Höhe des AA-Blumenetats nicht möglich ist. Einen noch höheren Blumenbedarf haben die über 100 Botschaften in Berlin, da sie laufend Repräsentationspflichten nachkommen müssen.
Darüber hinaus legen in den Behörden und Botschaften auch die Mitarbeiter großen Wert auf Blumen und Topfpflanzen in ihren meist noch kahlen Büros. Eine Floristin in Mitte, die jetzt schon viele ihrer Flobs (floristische Objekte) an Regierungsangestellte verkauft, meint, dass die meisten von ihnen ihre Büropflanzen beim Umzug aus Bonn mitgebracht hätten. Berlin habe einen schlechten Ruf, was die Qualität der Blumen betreffe. Das mag in Westberlin an den vielen Studenten und Singles liegen, die sich eher theoretisch mit Blumen befassen. Erinnert sei an FU-Seminare über „Das Spießige der Nelke“ und den „Faschismus von Topfblumen“. Selbst beim regelmäßigen Plündern der Hanfpflanzen im Botanischen Garten bewiesen die angehenden Akademiker nicht immer Sachkenntnis. Grad neulich schenkte ein Mitarbeiter der Grünen einer Frau einen Strauß Frühlingsblumen – ohne zu merken, dass er ihr aus Versehen Stoffblumen gekauft hatte. Die (parteilose) Beschenkte war erschüttert.
In Ostberlin war man „blumenbewusster“. Dort gab es zwar kaum Importblumen, aber wegen des ständigen Kaufkraftüberhangs waren die DDR-Bürger in der Lage, geradezu Unsummen für Blumen auszugeben. Das Angebot wurde zudem durch die vielen Kleingartenbesitzer ergänzt. Die Massenware kam aus den volkseigenen bzw. genossenschaftlichen Großgärtnereien. Berühmt waren deren Nelken und Chrysanthemen sowie die Kamelien aus Leipzig.
In Westberlin gab es nur den genossenschaftlichen Blumengroßmarkt an der Friedrichstraße, der sich vor 113 Jahren aus der Linden-Markthalle entwickelte. Nach der Wende musste dieser Markt einen Teil seiner gepachteten Flächen abgeben, dafür wurde gerade für mehrere Millionen Mark die Halle renoviert.
Viele Westberliner Gärtner und Großhändler klagen über starke Umsatzeinbrüche seit den blühenden Achtzigerjahren. Einige von ihnen treffen sich regelmäßig auf der Trabrennbahn Mariendorf, wo sie eigene Rennställe besitzen.
Westdeutsche Blumenhändler meinen, seit den vielen Blumengroßmärkten am Stadtring sei das Angebot in der Stadt besser geworden: Konkurrenz belebe das Geschäft. Es gebe jetzt jedoch große Unterschiede zwischen den einzelnen Märkten. So sei die Ware auf dem Cash-&-Carry-Markt in Rangstedt miserabel, und der Laden werde lieblos geführt. Der in Buchholz sei jedoch ganz prima. Der Holländer am Olympiastadion habe gute Sonderangebote und Kölle im Einkaufscenter Havelpark zu viel Kitsch im Angebot.
Die Schnittblumen kommen mittlerweile von überall her. Die Rosen der nächtlichen Rosenverkäufer stammen aus Venezuela. Sie werden eingeflogen. Das sei günstiger und auch sinnvoller, als sie hier in Gewächshäusern mit Kunstlicht und wärme zu produzieren, sagen die Blumendealer. Die Großhändler kaufen ihre Schnittware auf Versteigerungen. Anders bei den Topfpflanzen, die meist aus Europa kommen. Hierbei müssen die Großhändler die Gärtnereien kennen: Eine Warenprobe reicht nicht. Sie müssen die Kulturen sehen, das heißt regelmäßig dort hinfahren. Dabei kommen schnell 100.000 Kilometer im Jahr zusammen, Dafür kennt jeder jeden: „Wir sind eine große Familie“, heißt es „und informieren uns telefonisch ständig über alles Neue“.
Die in Deutschland so beliebten Margeriten kommen etwa aus der Nähe von Genua, Alpenveilchen aus Dänemark, Topfrosen aus Polen, Araucaria und Pseudo-Bonsai-Bäumchen aus Sizilien, Azaleen aus Sachsen. Und die zu Figuren geformten Koniferen und Liguster sind eine Spezialität der Toskana.
Belgische Gärtnereien boten heuer Geldbäume in Zinkeimern an und die süddeutschen ungespritztes Katzengras in flachen Schälchen sowie vierblättrigen Klee – als Glücksgeschenke zum Millenniumswechsel. Sie wurden jedoch von den Kunden nicht gerade überschwänglich angenommen.
Überall arbeitet man an neuen Züchtungen. Die Mode bei den Pflanzen ebenso wie bei den Flobs wechselt immer schneller. Gerade ziehen die Zimmerpalmen wieder an. Ein holländischer Händler bezieht seine Palmensamen – mit Schwarzgeld – aus Australien, anschließend verkauft er sie an Gärtnereien in Spanien.
Noch immer wird der größte Teil des Blumenumsatzes vom Einzelhandel (der ca. 50 Prozent draufschlägt) erbracht, die Supermärkte machen nur 15 bis 22 Prozent aus. Sie kalkulieren flacher, dafür ist ihr Angebot meist ungepflegter. Ein Lastwagen mit rund 20.000 Topfpflanzen kostet von Palermo nach Berlin etwa 6.000 Mark. Auf solche Speditionen haben sich vor allem die Holländer spezialisiert.
Die Blumengroßmärkte versuchen durch Fusionen voranzukommen. So wie die US-Supermarkt-Kette Wall Mart, die hier auch durch Aufkäufe Fuß fassen will und in diesem Zusammenhang ihren zukünftigen deutschen Blumenlieferanten schon mal zu „strategischen Allianzen“ rät. Dadurch können zum Beispiel die Lieferstrecken verkürzt werden.
Unlängst verbanden sich die beiden Branchengrößten NBV (Neusser Blumen-Versteigerung) und UGA (Union gartenbaulicher Absatzärkte) – beides westdeutsche Gärtnerei-Genossenschaften, die sich nun auch und vor allem im Osten ausbreiten. Einer ihrer Großmärkte befindet sich in Langerwisch. Daneben betreibt der schleswig-holsteinische Großgärtner Petersen zwei Märkte bei Berlin: in Buchholz und in Fretzdorf. Dort hat er zusammen mit einem Holländer noch eine weitere Großgärtnerei aufgebaut.
Im Gegensatz zu den Genossenschaften haben die Privaten nichts gegen den Endverbraucher als Kunden (z.B. Hotels), auch sind ihre Öffnungszeiten nicht auf den frühen Morgen beschränkt, wie es beim Kreuzberger Blumengroßmarkt der Fall ist.
Der Branche fehlt es mittlerweile an Fachpersonal mit Führungsqualitäten, deswegen kann ein guter Marktleiter 10.000 Mark monatlich verlangen. In den Gärtnereien arbeiten mehr und mehr Polen, Tamilen und Russlanddeutsche. Der Gartenbau ist aber auch immer noch ein beliebter Lehrberuf. Die Ernüchterung bei den Lehrlingen, dass sie es bloß mit einer Massenware zu tun haben, die mehr und mehr künstlich hochgepäppelt und sogar gedopt wird, kommt schnell. Bei den FloristInnen geht die Entwicklung hin zum kunsthandwerklichen Objekt, wobei die Blume bzw. Pflanze nur noch Beiwerk ist.
Generell geht der Anteil der Topfpflanzen am Umsatz zurück, zugunsten von Schnittblumen, die immer frühzeitiger ins Angebot kommen müssen: Tulpen also möglichst schon im Oktober, Love-Parade-Sonnenblumen ganzjährig – und die Flobs mehrsprachig. „Sag es mit Blumen!“, hieß einmal der Werbespruch des westeuropäischen Blumenhändler-Netzwerks Fleurop.
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