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Kitsch in Eimern oder verfassungswidriges Konzept?

Hans Haackes Reichstagsinstallation „Der Bevölkerung“ ärgert Unionsabgeordnete

Freiburg (taz) – Darf ein Kunstwerk „der Bevölkerung“ gewidmet werden? Natürlich – es sei denn, es soll einmal im Reichstagsgebäude stehen. Denn dann handelt es sich um ein „verfassungswidriges Konzept“, findet der Freiburger Rechtsprofessor Dietrich Murswiek und unterstützt damit konservative Abgeordnete aus CDU und CSU. Heute findet die Staatsposse im Kunstbeirat des Bundestags ihre Fortsetzung.

Konkret geht es um ein Objekt des Aktionskünstlers Hans Haacke, an dem sich auch alle Bundestagsabgeordneten beteiligen sollen. Nach Haackes Idee bringt jeder Volksvertreter aus seinem Wahlkreis einen Zentner Erde nach Berlin, um sie dort in einen großen, flachen Holztrog zu füllen. Ohne gärtnerische Eingriffe soll dann im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes wachsen, was der Natur beliebt. Derweil formen über dem Holztrog 1,20 Meter hohe, weiße Leuchtbuchstaben die Widmung „Der Bevölkerung“. Dieser Schriftzug ist vom Plenarsaal aus zu lesen, und auch Besuchern auf dem Dach des Gebäudes leuchtet er aus der Tiefe des Hofes entgegen – falls die Installation tatsächlich realisiert wird.

Denn eigentlich hätte der Bau der (insgesamt 350.000 Mark teuren) Anlage bereits beginnen sollen. Schon im Oktober hatte der Kunstbeirat Haackes Konzept endgültig abgesegnet. Die einzige Gegenstimme in dem elfköpfigen Gremium kam von Volker Kauder, der zugleich Generalsekretär der CDU in Baden-Württemberg ist. Haackes Entwurf diffamiere „in unglaublich aggressiver Art und Weise“ den Begriff des deutschen Volkes, so Kauder.

Tatsächlich versteht Haacke die Leuchtschrift „Der Bevölkerung“ als Gegenbild zur bronzenen Inschrift „Dem deutschen Volke“ am Portal des Reichstags, die er als aggressiv und ausgrenzend empfindet. In seinen sechsseitigen „Überlegungen“ zum Kunstprojekt schildert Haacke, welche Assoziationen der Volksbegriff bei ihm heute auslöst. Vom der faschistischen „Volkstumspolitik“ über den „Volksgerichtshof“ bis hin zur realsozialistischen „Volksarmee“ konnte der seit den Sechzigerjahren in New York lebende Künstler nichts Positives mit dem Volksbegriff verbinden. „Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht“, zitiert Haacke einen klugen Satz von Bertolt Brecht.

Angesichts dieser kämpferischen Haltung ist die Kritik von links, wonach die erdige Angelegenheit doch sehr an die Blut-und Boden-Semantik der Nazis erinnere, weitgehend verstummt. „In der Gesamtbilanz sehe ich dieses Kunstwerk positiv“, erklärt etwa der SPD-Abgeordnte Gert Weisskirchen. CDU-Mann Kauder bekam dagegen Unterstützung von der CSU. Hier werde in der Form eines Kunstwerks „politische Agitation“, betrieben, klagte deren parlamentarischer Geschäftsführer Peter Ramsauer.

Der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek versuchte in einem Focus-Beitrag sogar, der Mehrheit im Kunstbeirat einen Verfassungsverstoß nachzuweisen. Denn nach dem Grundgesetz gehe alle Staatsgewalt „vom Volke“ aus. Auch die Abgeordneten seien Vertreter des „Volkes“ und laut Amtseid „dem Wohle des deutschen Volkes“ verpflichtet. Deshalb könne der Bundestag nicht den Auftrag für ein Kunstwerk geben, in dem das Parlament auf die „Bevölkerung“, also auch die nicht deutschen Bewohner des Landes, verpflichtet werde.

Auf Wunsch der CSU hat der Ältestenrat des Bundestags nun den Kunstbeirat gebeten, das Projekt noch einmal zu diskutieren. Der Künstler ist darüber nicht einmal unglücklich. „Das ist doch gut, wenn so ein Kunstwerk schon vor seiner Aufstellung Diskussionen auslöst“, erklärt Haackes Projektleiter Oliver Schwarz.

Wie die heutige Diskussion im Kunstbeirat ausgeht, ist noch offen. Der SPD-Mann Weisskirchen glaubt zwar, dass der Pro-Haacke-Beschluss vom Oktober bestehen bleibt: „Die Mehrheit war eindeutig, und die Argumente waren damals schon ausgetauscht.“ Doch inzwischen haben sich auch die Grüne Antje Vollmer („Kitsch in Eimern“) und Rita Süssmuth von der CDU kritisch geäußert. Beide konnten an der Abstimmung im Oktober nicht teilnehmen. Süssmuth galt bislang als Befürworterin des Projekts, stört sich nun aber vor allem an der „Polemik“ in Haackes erst spät in die Diskussion eingebrachtem Papier.

Über Haackes Kunstwerk wird damit gestritten wie über eine Ausschussvorlage. Dabei sollen mit den insgesamt 28 Kunstwerken im neuen Parlamentssitz gerade auch „unterschiedliche Auffassungen“ widergespiegelt werden, erläutert Hartwig Bierhoff, der Pressesprecher des Bundestags. Und: Die Abgeordneten, die Haackes Position nicht teilen, lassen ihre Erde eben zu Hause. So sieht das auch Haacke: „Ich kann niemand zur Teilnahme zwingen.“

Christian Rath

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