piwik no script img

Die Schwächen der Theorie

betr.: „Korruption, empirisch“ von Dirk Baecker, taz vom 24. 1. 00

Selbstreflexiv gewendet, wie es so schön in der Systemtheorie heißt, zeigt dieser Beitrag, dass die Systemtheorie auch die Korruption der Soziologie genannt werden kann. Sie versucht, mit ihren Begriffen Vertrauen in die Soziologie zu schaffen, aber auf eine Weise, die so partikular (nur in ihren eigenen Netzwerken gültig), so rigide und antiquiert ist, dass damit der Soziologie insgesamt Schaden zugefügt wird, aber ihre Vertreter selbst „empirisch“ (z.B. mit Lehrstühlen) bereicht werden. Denn was sagt uns dieser Artikel darüber, was Vertrauen sei und was wir angesichts des durch die Korruptionsaffären schwindenden Vertrauens in unsere Gesellschaft tun sollen? Nichts. Er zeigt höchstens die Schwächen der Theorie auf, wenn sie z.B. versucht, Begriffe wie „Eigeninteresse“ zu benutzen.

Korruption ist nicht die Schaffung von Vertrauen zur „Durchsetzung individueller Rücksichten“ in einer Gesellschaft, die ihren „Individuen nicht über den Weg traut“, sondern im Gegenteil ein Vertrauensbruch in einer Gesellschaft, die auf das Vertrauen ihrer Bewohner in ihre Struktur baut, darauf, dass sie ihre Eigeninteressen zum großen Teil schützt. Um die Gefahr der Korruption zu erkennen, muss man die Rationalität, das heißt die Vorteile demokratischer Strukturen und verbreiteter rechtsstaatlicher Überzeugungen nachweisen können. Dazu hat die Systemtheorie nichts zu sagen, aber wir sollten uns diese Vorteile augenblicklich einmal mehr ins Gedächtnis rufen.

Volker Müller-Benedict, Göttingen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen