■ Aus dem Ausland hagelt es auch weiterhin Proteste gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ von Rechtsaußen Jörg Haider. Doch die Österreicher verstehen nicht, dass keiner sie versteht. Die ausländische Kritik, so befürchten selbst die Haider-Gegner, führt in der Alpenrepublik, wie schon vor Jahren im Fall Waldheim, nur zu Trotz und Solidarisierungen
: Wut auf all die erhobenen Zeigefinger

„Den erhobenen Zeigefinger sollen sie sich sonstwohin stecken!“ Die resolute Frau, die ihren Dackel vor dem Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz Gassi führt, begleitet ihren Kommentar mit einer eindeutigen Geste. Angesprochen sind die Regierungen der EU, die Österreich ob der drohenden Regierungsbeteiligung der FPÖ an den Pranger stellen.

Die Reaktion entspricht dem Stimmungsbild in weiten Kreisen der österreichischen Bevölkerung. Wieder droht die Jetzt-erst-recht-Stimmung zur Zeit der Präsidentenwahl von 1986 Platz zu greifen. Damals wählten die Österreicher Kurt Waldheim, obwohl enthüllt worden war, dass der als Verbindungsoffizier der Wehrmacht von den Deportationen von Juden auf dem Balkan zumindest gewusst habe. Damals reagierte die internationale Öffentlichkeit zum Ärger der Österreicher mit Empörung. Auch jetzt halten laut einer Umfrage 58 Prozent der Österreicher die Bedenken der EU gegen eine Beteiligung der rechtsextremen FPÖ für überzogen. „Fast hat man das Gefühl, die Kritiker wären mit den Freiheitlichen im Bund, um diesen eine möglichst intensive Solidarität unter den Österreichern zu verschaffen“, kommentierte die konservative Tageszeitung Die Presse. „Denn hierzulande findet man auch unter den Kritikern der FPÖ nur wenige, die nicht empört über diesen Versuch wären, demokratische Wahlergebnisse durch Druckausübung vom Tisch zu fegen.“

Empörung herrscht auch über ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, der nach dem Scheitern der Regierungsverhandlungen mit der SPÖ wieselartig die Seite wechselte und nun Jörg Haiders Mannen in die Regierung hieven will. Die FPÖ soll die Hälfte der Ministerien, darunter die Ressorts Finanzen und Soziales übernehmen.

Aus Protest gegen den Wendehals drang Dienstagvormittag eine Gruppe von etwa 40 Aktivisten linker Organisationen in die ÖVP-Zentrale in Wien ein und hielt sie bis gestern besetzt. Passanten wunderten sich über Transparente mit den Aufschriften „Wolfgang Haider – Nein danke“ oder „Stoppt Rassismus“.

Der Sitz der ÖVP war gestern auch Sammelpunkt für einen Demonstrationszug zum Bundeskanzleramt, zu der eine Plattform von Künstlern und Menschenrechtsorganisationen aufgerufen hatte. Der Demonstration schlossen sich auch die Spitze der Grünen und einige SPÖ-Politiker an.

Die Wendehalspolitik der bürgerlichen ÖVP lockte sogar den Schriftsteller Michael Köhlmeier aus der Reserve. Köhlmeier hält sich normalerweise aus der Politik heraus. In einem im Magazin profil abgedruckten offenen Brief an Schüssels rechte Hand, Elisabeth Gehrer, erinnerte er die bisherige Bildungsministerin an ein Gespräch im Herbst: „Sie sagten: So gut kennen Sie Wolfgang Schüssel, dass Sie es ausschließen, dass er dieser Partei zu Ministerämtern verhilft. Und Sie sagten: Wenn doch, dann ohne Sie. Ich appelliere an Ihr Wort!“

Wolfgang Schüssel und Jörg Haider gaben sich in ihrer gemeinsamen Pressekonferenz am Dienstagabend unschuldsvoll bis trotzig. Ürsprünglich war die Konferenz für 18 Uhr angekündigt, schließlich aber bis nach 22 Uhr verschoben worden. Offenbar hatte es doch länger gedauert, das Sparpaket zu schnüren und die Ministerliste auszuhandeln. Doch um die Regierungsvereinbarung ging es nur am Rande. Vor allem die Vertreter ausländischer Medien wollten von den künftigen Partnern wissen, ob sie in ihrem Vorhaben nicht verunsichert seien. Haider gab sich erstaunt: „Kein Freiheitlicher hat Sympathie für den Nationalsozialismus, kein moderner Mensch kann sich mit dem größten Verbrechen der Menschheit im 20. Jahrhundert identifizieren.“ Ganz so locker kann Schüssel die Vergangenheit seines neuen Weggefährten nicht wegstecken. Er versprach, einen Weg zu finden, „der die berechtigten Sorgen in den EU-Ländern ernst nimmt und ihnen von vornherein die Spitze abbricht“.

Haider dagegen witterte den Ursprung der heftigen Reaktionen einmal mehr in einer sozialdemokratischen Verschwörung. Er berief sich auf Berichte der dänischen Jyllands-Posten, wonach Noch-Bundeskanzler Viktor Klima (SPÖ) letzte Woche bei der Holocaustkonferenz in Stockholm die Proteste bei seinen europäischen Amtskollegen bestellt hätte. Die SPÖ dementierte heftig.

Ralf Leonhard, Wien