: Allein im Ton-Archiv
Vorsprung durch Klassik: Ryuichi Sakamoto malträtiertein der Passionskirche sein Klavier ■ Von Daniel Bax
Kann man sich die Gruppe Kraftwerk „unplugged“ vorstellen? Nur schwer. Bei Ryuichi Sakamoto liegen die Dinge etwas anders. Der hat zwar in Japan vor mehr als zwanzig Jahren das Yellow Magic Orchestra mitbegründet, die als Elektronik-Pioniere vom gleichen legendären Ruf zehren wie ihre Kollegen aus Düsseldorf.
Doch dass der 47-jährige derzeit mit einem Piano-Programm durch die Lande tourt, ist so überraschend nicht: Selbst in seinen opulenten Soundtrack-Arbeiten, etwa für Bernardo Bertolucci („Little Buddha“ und „Der Himmel über der Wüste“), ist immer schon eine Einfachheit angelegt, die sich zum Destillat eignet. Klavierbearbeitungen seiner bekanntesten Film-Kompositionen veröffentlichte Sakamoto kürzlich auf dem Album „Cinemage“, daneben gab er das Piano-Album „Back to the Basic“ heraus. Mit dem instrumentalen Piano-Stück „Energy Flow“ führte er sogar über Wochen die japanischen Hitlisten an – was auch ein Zeichen für Sakamotos Stellung in Japan ist.
Auch in Berlin hat er seine Fan-Gemeinde, die ihm auf allen Experimentierpfaden folgt. Als das Konzert beginnt, schlurft Sakamoto fast beiläufig auf die Bühne – in modischen Turnschuhen, Jeans und schwarzem Hemd, das graue Haar zu einem Zopf hochgebunden –, stellt sich hinters Turntable-Set und legt eine Platte auf.
Kaum vernehmbar ertönen leise Cello-Klänge, die langsam in einen pulsierenden Beat gleiten. Dann hallen Schritte, ein Knarzen wie das einer alten Tür, ein gregorianischer Chor schwillt an und mündet in den Lärm von Kirchenglocken, während Sakamoto mit dem Rücken zum Publikum in seinem Plattenkoffer kramt, verschmitzt das Vinyl wechselt oder neue CDs einlegt – wie ein DJ, der seine Funde aus dem Ton-Archiv als rätselhaftes Krimi-Hörspiel inszeniert. Am Ende dann Rauschen, Frequenzstörung und ein murmelnder Mönchschor, tibetisch wahrscheinlich: ein Hauch Mystik vom Mischpult, die Welt als Klangexperiment.
Den Applaus nimmt Sakamoto mit kurzem Kopfnicken an, sagt „Guten Abend“ und wechselt ans Klavier. „Das ist das erste Mal, das ich in einer Kirche spiele“, bekennt er, doch die andächtige Stimmung ist ohnehin nicht mehr zu steigern. Gebannt kauert das Publikum sogar auf dem Boden zwischen den Kirchenbänken, wie bei klassischen Konzerten den Kopf in die Hände gestützt. Während Sakamoto seine Klavierimpressionen hintupft, wirft ein Diaprojektor klein gedruckte Wörter an die Kirchendecke, häufig auch Halbsätze mit nautischer Aura: „The water boiled“ oder „a seashore“. Fließend ist auch die Essenz von Sakamotos Spiel: Die klassisch angehauchte Melancholie seiner Kompositionen erinnert an Impressionisten wie Debussy oder Ravel. Äußerlich herrscht eine Ästhetik der Reduktion vor: Im kargen Lichtkegel wippt hektisch Sakamotos Silhouette, das Haar reflektiert silbern die Scheinwerfer.
Ein zweites, präpariertes Piano steht am Bühnenrand, ihm entlockt Sakamoto seltsame Klänge, Gong-Geräuschen ähnlich. Wie einst John Cage, hat Sakamoto Nadeln, Stifte und Radiergummis zwischen die Klaviersaiten gelegt, sodass es wie ein indonesisches Gamelan-Orchester auf Abwegen klingt. „Ein Witz“ sei es, so Sakamoto, wenn ein Klavier, das europäische Instrument schlechthin, so buddhistische Töne von sich gebe – wegen solcher Gedankenspiele trägt Sakamoto in Japan den Spitznamen „Professor“. Anschließend spielt er an seinem Yamaha-Flügel ein Duett, alleine, zur vorprogrammierten ersten Melodie.
Ein Entertainer ist Sakamoto nicht. Schüchtern kommen seine Ansagen in genuscheltem Englisch, die verlegenen Witze ohne Pointe. Fast kommt es deswegen zum Eklat. Ein Zwischenrufer beschwert sich über den Sound, Sakamoto versteht es als Kritik an seiner Aussprache und zeigt sich gekränkt. Voller Ärger greift er in die Tasten, schnaufend, das Gesicht schmerzverzerrt. Nur das Haarbüschel wedelt fröhlich über dem Klavier. Trotzdem lässt sich Sakamoto noch zu drei Zugaben erweichen, versöhnlich verabschiedet er sich mit einem Winken. Nachdem er gegangen ist, klauben zwei japanische Roadies die Klangwerkzeuge aus dem Klavier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen