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Traute Eintracht in Afrikas Gijón

Afrika-Cup: Algerien, einst Opfer des deutsch-österreichischen Nichtangriffspakts beider Fußball-WM 1982, hat gelernt und wird zum Mittäter ■ Aus Kumasi Kurt Wachter

Unangenehme Erinnerungen wurden wach im ghanaischen Kumasi. Erinnerungen an Gijón, an die Weltmeisterschaft 1982 in Spanien. Damals hatten im letzten Gruppenspiel Deutschland und Österreich miteinander gespielt. Solange, bis das Spiel endlich herum war, die Deutschen 1:0 gewonnen hatten und beide Teams eine Runde weiter waren. Algerien schied tatenlos und wütend aus.

Diesmal war Algerien wieder beteiligt. Nur unter verkehrten Vorzeichen. Im letzten Gruppenspiel des Afrika-Cups gegen Südafrika, das bereits qualifiziert war und einige Stammspieler schonte, reichte ein Unentschieden, solange im Parallel-Spiel Kongo nicht sehr deutlich gegen Gabun gewinnen würde. Als die Algerier in der 53. Minute ausgeglichen hatten, passierte fast nichts mehr. Südafrikas Abwehrspieler schoben die Kugel fortan im Trainingstempo hin und her, ohne das sich die „Desert Warriors“ aus Algerien ernsthaft eingemischt hätten. Und die Kraft der Wüste war in Kumasi nur in Form des Harmattan, einem trockenen Wind aus der Sahara, zu spüren.

Südafrikas Coach Trott Moloto fand nichts Schlimmes an der aufdringlichen Passivität der Seinen: „Es gab keine Absprachen. Nachdem wir ein Tor gemacht haben, mussten wir uns zurückziehen, und das taten wir auch. Das Gleiche taten die Algerier nach ihrem Tor. Beide Teams fingen an, sich mit einem Untentschieden wohl zu fühlen.“

Schon nach 90 Sekunden hatte Angreifer Shaun Bartlett vom FC Zürich Südafrika in Führung gebracht. Wieder Bartlett, der schon dreimal zuvor gegen Gabun (3:1) und die Demokratische Republik Kongo (1:0) – oder „Kongo-Kabila“ wie die Ghanaer sagen – getroffen hatte. Am Sonntag wartet in Kumasi als Gegner Ghana. Algerien trifft am gleichen Tag in Accra auf Kamerun.

Südafrikas Kapitän Lucas Radebe von Leeds United, der mit Mark Fish und Pierre Issa die solide Dreierabwehrkette bildet, glaubt, dass das Beste von Bafana Bafana („die Jungs“) erst noch kommen wird: „Wir werden dafür sorgen, dass die Leute, die am Sonntag ins Stadion kommen, guten und unterhaltsamen Fußball erleben. Wir sind die Underdogs, wir werden raus kommen und Feuer spucken!“

Südafrika wird nicht gerade als Favorit gehandelt; vielmehr wird das Land von den arrivierten Fußballnationen wie Kamerun, Nigeria, Ägypten oder Ghana immer noch als Neuling gesehen. Dabei hatte Südafrika 1957 gemeinsam mit Sudan, Ägypten und Äthiopien den Afrika-Cup ins Leben gerufen. Als sich das damalige Apartheid-Land allerdings weigerte, ein Team mit Spielern verschiedener Hautfarbe nach Khartum zu entsenden, provozierte es damit den Ausschluss durch den Verband, der über 30 Jahre andauern sollte.

Die Bilanz seit 1992, dem Jahr, als das neue Südafrika wieder Mitglied der Fifa wurde, ist imponierend. Der überraschende Sieg gleich bei der ersten Teilnahme 1996 im eigenen Land gab einen riesigen Push für das Selbstbewusstsein der neuen Regenbogennation. Zwei Jahre darauf in Burkina Faso scheiterte der Titelverteidiger erst im Finale an Ägypten.

Der bislang größte Coup von Bafana Bafana war die WM-Teilnahme 1998. Südafrika verlor nur das Spiel gegen den späteren Weltmeister Frankreich, gegen Saudi-Arabien und Dänemark gab es jeweils ein Unentschieden. Bei den europäischen Klubs herrscht immer mehr Nachfrage nach südafrikanischen Talenten. Aktuelles Beispiel ist der Transfer des 22-jährigen Quinton Fortune von Atlético Madrid zu Manchester United. Mit Angreifer Nomvete von den Kaizer Chiefs findet sich in der heutigen Stammelf der Multikulti-Truppe gerade noch ein Spieler, der im eigenen Land kickt.

Für das Viertelfinale am Sonntag wirft das die Frage der wahren Loyalität auf. „Die Leute hier in Kumasi“, meint Olympique Marseilles Verteidiger Pierre Issa, „lieben uns, aber wohl nicht so sehr wie das ghanaische Team.“ Leicht ist es nicht im Gastgeberland, aber: „Wir werden zumindest von den zehn Leuten unterstützt, die in unserem Hotel arbeiten, mit denen wir seit zwei Wochen zusammen sind. Aber wir kümmern uns nicht darum, wenn das Stadion vollgepackt ist. Wir fürchten uns vor niemandem, respektieren aber alle. Das ist das Zentrale im Fußball.“

Pierre Issa, der mit seinen zwei WM-Eigentoren im Spiel gegen Frankreich eine gewisse Berühmtheit erlangte, rechnet für das Viertelfinale „mit einem harten Match“. Softkicks sind in Viertelfinalspielen ohnehin selten, nicht nur in Kumasi oder Gijón.

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