: Pädagogische Offensive in Bremer Kitas
■ Das Amt für Soziale Dienste möchte in Zukunft mit weniger Geld mehr erreichen
Die Bremer Kindertagesstätten sollen eine neue pädagogische Offensive starten. Das jedenfalls will das Amt für Soziale Dienste, das in dieser Woche dafür eine erste „Impulsveranstaltung“ organisierte; die Fachtagung „Kindergarten: Kinder-Familie-Nachbarschaft“.
500 von insgesamt rund 1.000 pädagogischen MitarbeiterInnen der städtischen Bremer Kitas drängelten sich am Donnerstag erwartungsvoll in der oberen Rathaushalle, um den renommierten Erziehungsexperten Wassilios Fthenakis zu hören – während ein Notdienst die Kurzen versorgte, deren Eltern wirklich nicht zu Hause bleiben konnten.
Fthenakis, Direktor des Staatsinstitutes für Frühpädagogik in München, setzte deutliche Akzente: Die veränderten Lebenbedingungen von Familien müssten in der pädagogischen Arbeit künftig eine größere, aber auch eine andere Rolle spielen als bisher. Berufliche Probleme von Eltern, Rollenkonflikte und Trennungen seien Lebenserfahrungen, die im Kindergarten nicht allein mit den Kindern bearbeitet werden dürften. Elterngespräche müssten ein wichtiger Bestandteil der erzieherischen Arbeit sein – oder werden. „Statt sich über den nächsten Laternenumzug zu unterhalten, oder darüber, wie ein Spielplatz neu gestaltet werden kann, sind Krisengespräche mit den Eltern für die Kinder viel wichtiger“, so Fthenakis. „Nicht Kontinuität, sondern ein ständiger Wandel prägen heutzutage die Entwicklung eines Kindes, das müssen die BetreuerInnen wissen und entsprechend reagieren.“
Zum modernen Anforderungskatalog gehöre es auch, Kinder auf eine Globalisierung der Gesellschaft vorzubereiten. Die Ausgrenzung und mangelnde Integration ausländischer Kinder in deutschen Kindergärten müsse aufhören. Computer sollten im Kindergarten kein Tabu mehr sein. Das Interesse der Kinder gerade im naturwissenschaftlichen und mathematischen Bereichen dürfe nicht länger ignoriert werden.
Jürgen Hartwig, Leiter des Amtes für Soziale Dienste, hofft mit der Durchführung des Fachtages auf eine längst überfällige Diskussion über neue Erziehungskonzepte – und auf einen deutlichen Schritt hin zur gesetzlich verlangten Qualitätssicherung. Nach Bekanntgabe des WIBERA-Gutachtens, einer Organisations- und Wirtschaftlichkeitsuntersuchung der Bremer Kitas, habe sich die Debatte über die Qualität der Betreuungsangebote für Kinder zu lange auf die finanzielle und personelle Ausstattung der einzelnen Einrichtungen konzentriert, kritisierte Hartwig. Es sei an der Zeit, eine Diskussion über die pädagogische Qualität der Kinderbetreuung zu starten. Aus dem Vorhandenen müsse das Beste gemacht werden.
Viel Applaus erntete unterdessen Fthenakis für seine Forderung nach einem optimalen pädagogischen Standard – der auch Geld kosten würde. Nach seinen Vorstellungen soll eine Gruppe von drei- bis sechsjährigen aus maximal 16 Kindern bestehen und ganztags von zwei ausgebildeten Fachkräften betreut werden. Ein Traum für Bremer Kita-MitarbeiterInnen, die derzeit mit 20-köpfigen Gruppen arbeiten. Auch dass Fthenakis eine Lanze „für die wichtigste Einrichtung im Bildungsbereich“, die Kita brach – deren MitarbeiterInnen wie LehrerInnen angemessen zu bezahlen seien –, tat dem Publikum offensichtlich gut.
Insgesamt wurde der Fachtag von den ErzieherInnen positiv aufgenommen. Sie sahen sich darin bestätigt, dass ihre Arbeit wichtig ist – wenn sie auch nicht immer ausreichend gewürdigt wird. „Gerade im Kindergarten werden die ersten Weichen gestellt“, sagten sie selbstbewusst. Hier könne noch präventiv in die Entwicklung eines Kindes eingegriffen werden. Die vorgetragenen pädagogischen Konzepte seien in der Umsetzung längst überfällig. „Wie wir das mit den zur Verfügung stehenden personellen und finanziellen Mitteln allerdings schaffen sollen, ist mir aber völlig schleierhaft“, kommentierte eine der Erzieherinnen. „Der Fachtag liefert uns jetzt aber ausreichend Argumente, um fehlendes Geld für unsere Kitas einzuklagen.“
Dazu hatte Sozialsenatorin Hilde Adolf zwar keine Zusagen gemacht. Jedoch hatte sie in Aussicht gestellt, dass jedes städtische Kindertagesheim bald selbständig wirtschaften könnte. Die von ihr angestrebte Kurskorrektur „stellt nicht nur neue Anforderungen, sondern bringt auch neue Chancen mit sich“. Kitas könnten so eigenständige Profile entwickeln und die Interessen der Eltern besser berücksichtigen. TD
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