: Schnitte im Unterleib
■ Hamburger Ausländerbehörde versucht, suizidgefährdeten Armenier abzuschieben
Grigor W. ist seit gestern wieder in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung im Klinikum Nord. Er hat sich mit einem Küchenmesser Schnitte in den Unterleib zugefügt. Anlass war ein „Besuch“ gestern Morgen um halb sieben: Mitarbeiter der Ausländerbehörde wollten den Armenier, seine Frau und seine zwei Kinder abschieben.
Die W.s sind seit 1995 in Deutschland. Vor einem Jahr erkrankte Grigor W. akut psychisch und wurde wegen Suizidgefahr acht Monate stationär behandelt. Die Krankheit wurde auch in einem amtsärztlichen Gutachten im Juli 1999 bestätigt – „das aber eine Abschiebung nicht verneint hat“, rechtfertigt sich der Sprecher der Ausländerbehörde, Norbert Smekal. Es sei ja geplant gewesen, die Abschiebung ärztlich zu begleiten – deshalb schickte die Behörde ges-tern früh auch gleich eine Ärztin mit. Diese hatte sich vorige Woche unauffällig im Klinikum Nord erkundigt, „welche Medikamente W. denn so braucht zur Zeit“.
Doch die Aktion lief nicht nach Plan. Als die Beamten eintrafen, flüchtete Grigor W. in die Küche, griff sich zwei Messer und drohte, sich umzubringen. Dann schnitt er sich mehrmals in den Unterleib. Die Beamten verständigten das Mobile Einsatzkommando (MEK) und W.s behandelnde Ärztin aus dem Klinikum Nord. Die konnte den Armenier beruhigen und nahm in gleich mit in die Klinik.
Unterdessen hatte auch eine Sozialarbeiterin eine Petition bei der Bürgerschaft eingelegt. Der GAL-Obmann im Petitionsausschuss, Mahmut Erdem, widersprach da-raufhin der Abschiebung. „Die Behörde verstößt eklatant gegen die politische Vereinbarung von GAL und SPD“, kritisiert der Abgeordnete. Im Juli 1999 hatten die Fraktionen vereinbart, dass die Behörde bei Zweifeln an der attestierten Reiseunfähigkeit eines Flüchtlings einen Amtsarzt einschalten muss – „und zwar aktuell, nicht ein halbes Jahr vorher“, rügt die grüne Flüchtlingspolitikerin Christa Goetsch.
Die ärztliche Mitwirkung an einer Abschiebung verstößt zudem laut Beschluss des Deutschen Ärztetages vom Juni 1999 gegen die ethischen Grundsätze des Berufes. Und W.s behandelnde Ärztin ist sich sicher, „dass er sich in Armenien umbringen würde“.
Heike Dierbach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen