: Die Seele fühlt den Schmerz
Die Berlinale ist ein Landgasthof, aber in Ordnung. Auch wenn Volker Schlöndorff den deutschen Filmprofessor spielte und die Japaner manchmal aus dem Kino rannten. Eine Würdigung ■ Von Herbert Achternbusch
Eine Absicht zu äußern, tun sich die Menschen schwerer, als eine Absichtlichkeit zu zeigen. Ich habe nicht die Absicht, über die Berliner Filmfestspiele zu schreiben, ich mache es aber doch in geminderter Absicht, etwa um zu entschuldigen, dass ich keinen Nagel auf den Kopf treffe. Sicher habe ich Erinnerungen, die in der Phalanx stehen, damit kein Gedanke eindringen möge.
Ich war des Öfteren in Berlin. Wenigstens mit dem bayerischen Vorurteil gesegnet, dass die Berliner nicht dumme Maulaufreißer sind wie das Gros der Norddeutschen, sondern gewitzte. Den Bayern muss man schon zum Lachen bringen, damit er nicht aus der Ruhe gerissen wird, aus der Balance geschubst zum Groben, was die Aufgabe seiner Elegance bedeutet.
Berlin als Hauptstadt der Bayern machte uns nichts aus, aber als Hauptstadt der Deutschen, was wird sie da wieder beweisen? Provinz, Brutalität, Weltüberheblichkeit und Katzenjammer? Das geht mich nichts mehr an. Als die deutsche Filmfestivalstadt habe ich sie in souveräner Erinnerung, kein Vergleich mit dem muffligen Filmfest, des an allen Ecken und Enden, Kanälen und Straßen von der Bayerischen Landesregierung verstopselten München, wo ein Filmfestivalleiter zu Recht den Namen Häuflein trägt.
Moritz de Hadeln, der 1981 die Leitung der Berliner Filmfestspiele übernahm beziehungsweise ich mit meinem 7. Film bei ihm debütierte und er bei mir, kam mir immer aufgeschlossen entgegen, als hätte er einen Riecher für die späteren Dogma-Leute, als deren Vorgänger ich mich locker erkenne. Musik aus Engelshöhen herniederrauschen zu lassen, war mir von Anfang an zuwider, später war es auch mir wurst. Mein erster Film zeigt kein Musikinstrument, also hat er auch keine Musik. Bei meinem 12. Film war es mir noch zuwider, einen Primärton nachzusynchronisieren. Ich wollte nichts mit den Schuhputzerfilmen zu tun haben, diesen elenden Verpackern von Scheinheiligkeiten, diesen Filmwarenfetischisten, diesen Schwachköpfen, die das Dümmste in sich zusammenkratzen, weil sie wissen, dass die Leute um einiges dümmer sind als sie, und dazu schalmeien, man dürfe das Publikum nicht für dumm halten, was das Publikum wieder dazu verführt, sich nun ja nicht das Allerdümmste entgehen zu lassen. Achternbusch ein später Schüler von Diogenes fragte dazu: Was liebt die Dummheit am meisten? Die Massage. Und Diogenes, der in Athen öffentlich onanierte, sagte: Könnt ich doch durch die Reibung meines Kopfes klüger werden.
De Hadeln wurde von den deutschen Filmemachern 1981 boykottiert. Sie solidarisierten sich wie ein linker Kader, sie wollten einen praktizierenden, nicht denkenden Marxisten. Da bewarb ich mich mit meinem Film „Der Neger Erwin“. Er wurde in den Wettbewerb genommen. Der linksradikale Münchner Kulturpulk verübelte mir das sehr. Der Rest davon liebt noch heute über Gebühr Russland und schimpft, wenn Amerika wo hilft, und schweigt, wenn Russland wo vernichtet. Aber wozu auf das Häuflein Elend noch schimpfen. Einem Sloterdijk fahren sie an die Gurgel, als wäre er ein Politiker, aber den hirnschwindsüchtigen CSUlern fressen sie aus der Nase.
Natürlich machte „Der Neger Erwin“ die Leute zum Ochsen vorm Berg. Die Japaner, the most unhappy businessmen, verließen in Scharen den Zoopalast. Ich blieb sitzen, freute mich, dass ich das überhaupt aushielt. Der Film ist in 35 mm gedreht mit der schweren Arri-Mühle. Alles hat der brave Kameramann Jörg Schmidt-Reitwein mit der Hand gedreht, auf der Schulter, damit ich ihm nicht immer jedes Bild vorschreibe. Auf der Pressekonferenz fragte ein Blödmann, ob die schlechten, er meinte die wackeligen Bilder, Absicht seien. Ich sagte nur: Setzen 6. Aber mein braver Kameramann war sofort tief unglücklich und musste sich volllaufen lassen, da ihn eh eine ewige Depression plagte, dass er nie den genialen Kinski im Urwald drehen durfte.
An diesem Tag fühlte ich mich schuldig. Endlich in Berlin und diese Blamage für den Kameramann. Ich bin mir nicht sicher, dass ich von mir aus nach Berlin gegangen wäre, das scheint nicht meine Art zu sein, aber dem Team wollte ich das Berlin immerhin bieten. Cannes sagte ich, gehe nach Cannes, sagten sie, Cannes wiederholte ich. Saß ich nicht auch mit Habermas an einem Tisch und war überhaupt nicht beeindruckt, im Gegenteil, der trank am Ostufer des Starnberger Sees ein Bier, als wäre es am Westufer ausgegangen. Schließlich trieb ich mich in den Landgaststätten rum – ist ja egal.
Jörg, sagt ich am besagten Unglückstag, der dich beleidigen wollte, hatte mich auf dem Kicker, denn er hat die Aufnahmeprüfung auf die Münchener Filmhochschule nicht bestanden, weil er mich beziehungsweise meine Filme im Munde führte, und die Münchner Filmhochschule hasste mich, weil ich nach meinem zweiten Film nicht bereit war, einen Vortrag über mein Filmschaffen zu halten. Ich mach doch keine Kür auf deren Eishaut, da drehte ich lieber im ewigen Eis auf Grönland. Das waren noch Filme, die ich keinem Festival zur Verfügung stellte, nicht gönnte, weil sie mir alle zu blöde waren, war das nicht cool, ein damals fremdes Wort, aber mein heißester Zustand.
Selbst Fassbinder kroch auf den Internationalen Filmfestspielen wie ein kleiner Hund herum. Herzog aß kiloweise Kreide, damit sein unangenehmes Organ ein wenig weicher wurde. Und Schlöndorff warf seinen ganzen Gymnasiastenstolz in die Brust, damit man ihn als den Professor des deutschen Films ansähe, der doch zweifelsfrei Alexander Kluge war.
Heute kann einer schon während der Dreharbeiten seines zweiten Filmes zum Filmprofessor werden und Filmstudenten mit all dem belabern, worin er doch weiter keinen Erfolg hat.
Nun, besagter Tag war nicht mehr zu retten, und wir gingen alle ins „Exil“, zum Reinald, der sofort schloss und uns seine Kneipe zur Verfügung stellte. Heute hat er die Paris Bar, und ich wette, wenn ich es noch einmal wagen würde, mich zu einem ungehörten Film aufzuschwingen, er schlösse noch einmal und würde alle Möchtegerne und Habedoch und Siehstmichnicht hinausschieben, damit wir ein Stündchen oder zwei unseren Spaß hätten. Wir ist gut gesagt, ich bin allein.
Zurück kehrten wir im Hofbräuhaus ein, Münchens einzige Institution von internationalem Ansehen, die Oper ist nichts dagegen. Wir wühlten uns durch Zeitungen, vornab ich, aber den Zeitungen nach waren wir mit keinem Film in Berlin gewesen. Das sollte noch lange so bleiben, dass meine häufige Teilnahme an den Berliner Filmfestspielen verschwiegen wurde, von den klein- und großintellektuellen Spelunkenblättern Frankfurts genauso wie von anderen auch, selbst meine Süddeutsche Zeitung, deren Feuilleton damals noch ganz unter der Fuchtel einer Austernprinzessin war, wusste von meinen Berlinbesuchen nichts, auch wenn sie die Filme, wenn sie in München anliefen, ordnungsgemäß besprach.
Es kamen spätere Zeiten. Kohlzeiten, da sich die bayerische Schleimspur um und auch durch Bonn zog, da Staatssekretäre beim Direktor der Filmfestspiele persönlich anriefen, sich zu erkundigen, ob ein Achternbuschfilm liefe. De Hadeln ließ sich nicht kleinkriegen, und wenn nicht ihm, wem sollte ich sonst dankbar sein! Etwa der geschissenen Die Welt, die zum ersten Mal an einem Film von mir was fand, nämlich „Das Gespenst“, und vier Wochen später eine Kampagne gegen diesen Film vom Zaune riss, weil ein Staatssekretär bei ihr ein Ohr gefunden hatte. Nun, das ist ausgestanden, und wer seinerzeit ein Trottel war, steht heute nicht besser da, nur weil die Zeiten trotteliger geworden sind. Die Menschen werden in ihrer Existenz derart bedrängt, dass sie Kunst nicht mehr ertragen. Gleich gar nichts mehr ertragen. Schauen wir uns die Bayern an, sie sind so erbarmungswürdig, dass sie sich mit den Schandtaten ihrer Regierung identifizieren, die auch gar keine Anstrengung zu einer Ruhmestat macht, weil sie gar nicht wüssten, was das sei. Ruhm aber ist, da wir alle sterblich sind, das, was bleibt. In einer großen Tat zugrunde gehen, ist, da wir sterblich sind, allemal besser, als kleinkariert zu Ende siechen in der Phantasmagorie, Siechtum könne was anderes als Tod zur Folge haben.
Ja, es tut mir leid, dass ich so geschwollen daherrede, aber es ist von Antisthenes, dem Lehrer von Diogenes, und den mochte nicht einmal Cicero, weil er sich doch seine Landgüter so tapfer erworben hat und Diogenes den Staub der Straße küsste.
Einmal ungezählt in den Raum gestellt, sind 12 meiner 27 Filme auf dem Berliner Filmfestival gelaufen, so viele Filme, ohne einen Preis zu bekommen, hat wohl noch niemand gezeigt. Ich habe nicht nur meine eigenen Filme, sondern auch meine eigenen Rekorde, und alles zusammen ist ein Gebirge, vor dem der Bayer wie ein Schaf steht. Es merken die Bayern nichts so deutlich, als dass ich kein Bayer bin. Ich mag ihnen auch kein Bayer sein, den Berlinern schon, da bin ich gutmütig genug. Ungenießbares, keine Fressalien, gemacht zu haben, das erfreut mich. Wie verachte ich diejenigen, die anders sind! Ja wie? Wie es sich ergibt.
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