Erotischer Anarchist und Psychopath

■ Am Samstag feiert „Don Giovanni“ im Bremer Theater Premiere. Wir sprachen mit Regisseurin Sabine Hartmannshenn

Man kann davon ausgehen, dass Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ zu den Opernpartituren zählt, die auch einem breiteren Publikum bekannt sind. Der adlige Don Giovanni setzt in einer spanischen Stadt nahezu jeder Frau nach, den störenden Vater der bürgerlichen Donna Anna tötet er, mit der adligen Elvira ist er verheiratet und das Bauernmädchen Zerlina schleppt er am Tage ihrer Hochzeit in sein Schloss. Doch ihm gelingt nichts mehr, am Ende zieht ihn die Statue des Komturs (Annas Vater) in den Tod. Am Samstag hat Mozarts 1787 geschriebenes „dramma giocoso“ im Bremer Theater Premiere. Regie führt Sabine Hartmannshenn. Mit ihr sprachen wir über ihre Inszenierung.

taz: Frau Hartmannshenn, Sie haben ja schon bekannt gegeben, dass Sie Don Giovanni in unser Jahrhundert verlegen. So schlüssig das grundsätzlich sein kann, so kann ich mir doch vorstellen, dass man immer an Grenzen stößt, an denen man sich fragen muss: funktioniert das noch?

Sabine Hartmannshenn: Nein, hier nicht. In Mozarts Don Giovanni ist eine Welt zu Ende gegangen und eine neue zeichnet sich ab. Das sind bei mir die fünfziger Jahre, der Krieg war vorbei, es war eine Aufbruchstimmung, der Umgang mit Sexualität lockerte sich ... Das haut hin, denke ich. Außerdem habe ich das Bühnenbild und die Kostüme in meiner konzeptionellen Arbeit schon zur Verfügung gehabt, und das war für die Schlüssigkeit des Ansatzes ganz wichtig.

Don Giovanni gehört der alten Zeit, dem Ancien Régime an und nutzt mit aller Rücksichtslosigkeit seine Rechte. Gleichzeitig hat sein Drang nach Individualität schon mit der neuen bürgerlichen Zeit zu tun. Wer ist dieser Mann für Sie? Und auf welche musikalischen Argumente stützen Sie sich da?

Also: Don Giovanni hat im Unterschied zu den vielen Arien der Frauen in der Oper kaum musikalisches Profil. Es gibt die ganz kurze Champagner-Arie und dann die ebenso kurze Canzonette, die er in den Kleidern von Leporello singt. Da finde ich schon Melancholie drin, da hat er im Unterbewusstsein schon begriffen, dass das, was sein Leben ausmacht, nicht mehr sein wird – er ist am Ende. Für mich ist er ein erotischer Anarchist. Er ist ein Psychopath, nichts weniger, deshalb muss man sagen, dass er innerhalb seiner kranken Welt richtig handelt ...

Sie haben gesagt, Sie inszenieren nicht als Frau, sondern als Mensch. Da möche ichnachhaken. Die Frauen erhielten 1789 nicht die Bürgerrechte. Mozart hat den Ausschluss der Frau schon immer und mit großem Nachdruck thematisiert: in der Entführung, in „Cosi fan tutte“, im „Figaro“. Selbst in der „Zauberflöte“ zerschlägt Mozart 1791 das traditionelle Männerbündnis, indem er die Teilnahme von Pamina einklagt. Können Sie sich da wirklich als Frau herausnehmen?

Natürlich nicht. Ich stehe vehement auf Seiten der Frauen. Aber ich habe durchaus Spaß an Don Giovannis faszinierender Zwiespältigkeit, an seiner Lebenslust ...

Elvira, die einzige, die er von seinen über 2.000 Opfern geheiratet hat, ist sie ihm ähnlich?

Das kann man so sehen. Sie ist integer und loyal, sie will ihn retten, deswegen verfolgt sie ihn. Sicher geht es auch um ihre Ehre, aber das ist weniger wichtig. Sie möchte Klarheit. Das könnte ein Paar werden, wenn Don Giovanni sich ändern würde. Elvira hat wahnsinnig tolle Musikpartien.

Zerlina, die Don Giovanni als letzte vor seinem Untergang verführt, schreit nach Hilfe, nachdem sie recht bereitwillig mit Don Giovanni geflirtet hat. Auch Donna Anna schreit im ersten Akt nach einem Vergewaltigungsversuch durch Don Giovanni nach Hilfe. Was ist der Unterschied?

Der Unterschied ist der, dass Zerlina zwischenzeitlich von Elvira aufgeklärt wurde und nun nichts anderes im Sinn hat, als Don Giovanni bloßzustellen. Es ist eine gut eingesetzte Provokation.

Don Ottavio, der ungeliebte Verlobte der Anna, wird oft als Schwächling gesehen. Für die Wiener Fassung hat Mozart seine berühmteste Arie „Dalla sua pace“ nachkomponiert. Kommt ihm damit doch eine dramaturgisch größere Bedeutung zu?

Ottavio ist überhaupt nicht schwach, er ist nur vollkommen anders. Don Giovanni und Ottavio kennen sich von Kindheit an, Giovanni war der tolle Hecht, Ottavio immer diplomatisch. Für mich ist er ein Joseph Fouché und ich werde versuchen, das in der Inszenierung auch zu zeigen.

Sie haben Musikwissenschaft studiert, was bei Opernregisseuren nicht allzu häufig anzutreffen ist. Wie weit muss das Verständnis des Regisseurs für die Musik gehen?

Der Regisseur muss Musik analysieren können. Die Art, wie eine Form gefunden wurde, wie eine Harmonie gesetzt ist, wie eine Phase verläuft, geht sie zu Ende oder nicht – das muss man wissen und daraus die interpretatorischen Konsequenzen ziehen. Ein Beispiel: die großen Koloraturen der Donna Anna. Das ist ein endloses Weinen ...

Dann könnte man fragen: Macht die Musik eigentlich schon die Inszenierung?

Absolut. Und mein Anliegen ist: den Opernstaub weg. Das ist bei vielen Sängern und Sängerinnen noch immer sehr sehr schwierig.

Das Gespräch führte Ute Schalz-Laurenze

Die Premiere “ ist am 12. Februar um 19.30 Uhr . Die musikalische Leitung hat Rainer Mühlbach. Karten gibt es unter 365 33 33.