Berlinale: Die Bagel-Berlinale
Die Eröffnungsgala war für ein paar Japaner samt Sony-Kameras das Größte
Die Japaner filmen einfach alles, das ist das zutiefst Demokratische an ihren kleinen Sony-Kameras. Sie filmen die Menge vor dem Berlinale-Palast, sie filmen sich selbst vor der Menge, und sie filmen sogar die Taxifahrer. Als Eberhard Diepgen am Mittwochabend bei der Eröffnungsgala ansetzte, über die „Filmstadt Berlin“ wieder den beschaulichen Stuss zu erzählen, den er immer erzählt („Als ich eben an den vielen Filmplakaten vorbei- fuhr . . .), da saß doch tatsächlich wieder ein Japaner so etwa in der 20. Reihe – und filmte. Bei den Reden von Michael Naumann, Johannes Rau und Moritz de Hadeln blieb die Mini-Sony dann ausgeschaltet. Womit die ca. 9.000 Kilometer entfernten Verwandten beim Video$abend auf den Tatami-Matten einiges verpassen werden. Zum Beispiel den obligatorischen englischen Satz vonMichael Naumann.
Diesmal war es ein John-Wayne-Zitat aus John Fords „Stagecoach“, bezogen auf die Berlinale, die, so Naumann, am Potsdamer Platz gerade neu geboren worden sei: „I’ll be damned, it’s a baby“. Da Naumann ein bisschen nuschelte, wie John Wayne ja auch, drehte sich eine Frau zwei Plätze weiter zu meinem Nachbarn um und meinte: „Wieso ist die Berlinale ein Bagel?“ Ansonsten spulte Naumann wieder den bekannten Diskurs vom „kunstvollen Film“ ab, den es zu retten gelte. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, weil er noch am Tag zuvor auf einer Pressekonferenz kläglich eingestehen musste, dass das erste Projekt seines Bündnisses für Film, nämlich die Stärkung der Produzenten gegenüber dem Fernsehen, vorerst gescheitert ist.
Auftritt Johannes Rau. Der nuschelte nicht, zitierte Loriot und erfüllte ansonsten seine Funktion als leicht jammerig-pastoraler Kulturbewahrer. Angesichts der grassierenden Verbreitung „des Virtuellen“ sieht unser Bundespräsident die abendländische Kultur in großer Gefahr. Nicht auszumalen, was die gemeinen global player unseren Skulpturen, Büchern und Filmen alles antun können. Da sei Rau vor. Kurz bevor die Filmfestspiele dann mit Wim Wenders’ „The Million Dollar Hotel“ losgingen, wurde noch schnell die Jury vorgestellt, und angesichts des Ausschnitts der spanischen Schauspielerin Marisa Paredes sprang sogar die kleine Sony noch mal für fünf Sekunden an.
Katja Nicodemus
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