piwik no script img

Gruftimode und Klagen über die Kälte

Letzte Nachrichten aus der äußersten Mongolei

Der Stress nimmt zu, ebenso der Alkoholkonsum. Immer mehr Mongolen verlieren da schon mal ihre Contenance

In der Mongolei hat gerade mit dem „Weißen Monat“ (Februar) das neue Jahr begonnen. Zeit für einen Rückblick auf 1999 – mit Nachrichten unseres kostenfreien Korrespondenten in Ulan Bator, Batschargal.

Im Mai fand in Ulan Bator fand im Mai eine – von Batschargal veranstaltete – ziemlich intellektuelle „Männer-Show“ statt, aus der der 18-jährige Obertonsänger Zulsar (Licht-Mund) als Sieger hervorging. Als Hauptsponsor fungierte dabei der Touristikunternehmer Sonompel. Er ist gleichzeitig Präsident des Volleyball-, des Autosport- sowie des Kraftsport-Verbandes und war Nachrücker seines Bruders im Parlament, nachdem dieser bei einem Fallschirmabsprung ums Leben kam. Dort engagiert Sonompel sich seitdem in der „Jugendpolitik“.

Moderiert wurde der dreitägige „Männer-Contest“ von Batschargals Cousine Bajarmaa, die danach einen Deutsch-Sprachkurs in Berlin belegte. In der Mongolei hatte sie zuvor Schauspiel studiert – und als „Lady Macbeth“ ihr Diplom gemacht. Weil immer mehr Jobs abgebaut werden, klammern sich die Kulturschaffenden dort jedoch derart an ihre Stellen, dass der Nachwuchs keine Chancen mehr hat. Eine japanische Gastprofessorin riet Bajarmaa deswegen, ins Ausland zu gehen. Bajarmaa beschloss, das ostdeutsche Theater zu studieren, um anschließend das festgefahrene mongolische „System“ zu revolutionieren. Dazu gab ihr der Berliner Senat jetzt grünes Licht, nachdem sie ihr Deutsch-Diplom vorlegte. Erfolg hatte auch Batschargals 15-jährige Tochter Angara, die gerade ihre Schule schmiss. Die mongolische Rapgruppe Lumino landete mit „Ich liebe Dich“ einen Superhit, und der Sänger sowie angehende Diplomat Temuujin (18) meinte damit niemand anders als Angara, was er bereits durch die Anfangsbuchstaben der ersten sechs Zeilen von „Ich liebe Dich“ verriet.

Ansonsten geht es jedoch immer mehr bergab mit der Mongolei: Bereits zweimal mussten 1999 die Bus-, Taxi- und Straßenbahn-Preise wegen des teurer gewordenen russischen Benzins erhöht werden. Außerdem wurde der Tugrig erneut abgewertet (1 Dollar sind jetzt 1.000 Tugrig). Mehrmals trat bereits die Regierung zurück, vier Parlamentarier starben. Die Masse der Bevölkerung klagt: „Alles wird unbezahlbar!“ Reiche und Arme driften auseinander. Der Stress nimmt zu – und ebenso der Alkoholkonsum. Immer mehr Mongolen verlieren in dieser Situation ihre Contenance. So fuhr einer der berühmtesten Ringer betrunken aufs Land. An einer Kreuzung schob er mit seiner AK47 auf einen Kleinbus und verletzte dabei vier Fahrgäste z.T. schwer. Er wurde zum Tode auf dem elektrischen Stuhl verurteilt. Bei den jungen Leuten kam derweil das Gruftiwesen in Mode: Sie schleichen sich nachts auf die Friedhöfe, öffnen die Gräber, schmeißen die Leichen aus den Särgen und legen sich zum Gothic-Hören selber dort rein, anschließend klauen sie die Knochen als Trophäen.

Die meisten Mongolen scheinen die Mongolinnen eher zu klein zu finden. In den Kontaktanzeigen der Zeitung Super werden ausschließlich solche über 1,70 Meter gesucht. Und in der Nr. 7 gibt es Mädchen-Gymnastik-Ratschläge zum Größerwerden. In der Doppelnummer Nr. 5/6 bekommen andererseits die Jungs Ratschläge, wie man das Rauchen aufgibt, seine Krawatte richtig bindet und das Herren-Tuch anständig faltet. Dazu erschien 1999 noch ein Sachbuch mit weiteren Tipps zur Verbesserung der männlichen Attraktivität.

Auch die Funktionäre der „Jugend-Union“ klagen: In ihrem von Batschargal redigierten Verbandsorgan Mongolische Jugend (MJ, Nr.7/8/9) z. B. darüber, dass immer noch zu viele Kommunalpolitiker den Forderungen und Wünschen der Jugendlichen ablehnend gegenüberstehen. Umgekehrt klagt in der Region Gobi-Altai ein Funktionär, dass dort die Jugendlichen fast alle arbeitslos sind – und viel Scheiße bauen, statt sich weiterzubilden: „Wenn überhaupt, dann hat das Arbeitsamt höchstens Jobs für qualifizierte Leute. Die Jugendlichen träumen aber nur davon, in die Hauptstadt zu ziehen.“ Außerdem schimpft der Funktionär – ein stolzer BMW-Fahrer: „Wenn ich ehrlich bin, haben die Politiker zu uns Jugendfunktionären schlechtere Beziehungen als zu ihren Tieren.“

In der MJ (Nr. 15/16) wird vor den Tricks gewiefter Wohnungseinbrecher gewarnt. Der Ballett-Tänzer Tuwschinbat und der Pop-Sänger Batscholoon berichten außerdem über ihre steilen Karrieren in den USA. Und die in Moskau lebende russische Witwe des während der demokratischen Revolution 1990 gestürzten mongolischen Präsidenten Tsetenbal, Filatowa, erzählt in einem Interview, dass jetzt auch noch ihre Putzfrau gestorben sei und sie viel geweint habe, zudem werde in der Öffentlichkeit noch immer das Wirken ihres Mannes verzerrt dargestellt. Eine neue, das Andenken Tsetenbals ehrende Stiftung soll dem nun entgegenwirken. Gleichzeitig veröffentlichten die Boygroups „Krieg & Frieden“ und „8. Planet“ einen Song, „Das Leben“ betitelt, der an den im vergangenen Jahr ermordeten Reformpolitiker Zorig (die taz berichtete) erinnern soll.

Immer mehr Leute besuchen die lamaistischen Klöster – und beten um Glück und Reichtum. Auch die in die Zukunft blickenden Schamanen haben regen Zulauf. Viele Mongolen beklagen sich dagegen über ihre im Ausland, z. B. in Deutschland, lebenden Freunde: „Früher waren sie freundlich und hilfsbereit, nun sind sie kalt geworden – und sehen nur noch zu, wie sie selbst klarkommen.“ Helmut Höge

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen