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Lou next door

Mit „POEtry“ nimmt der ästhetische Abstieg des Musical-Machers Robert Wilson seinen Lauf  ■ Von Ralf Poerschke

Nicht die schlechteste Entscheidung, mit einem wahnsinnigen Lachen zu beginnen (irgendwie muss man ja beginnen). Der Schauspieler Christoph Bantzer stößt es aus, er spielt den amerikanischen Schriftsteller Edgar Allan Poe als älteren Mann (den albernen Schnurrbart dazu hat man ihm in der Endphase der Proben wieder abgenommen, er sieht Poe ohnehin schon so ähnlich). Das wahnsinnige Lachen ist eine heimliche Grundkonstante in Poes Erzählungen. Nicht alle ihre Protagonisten pflegen diesen Affekt tatsächlich, aber fast alle hätten Grund dazu: Es befreite sie kurzzeitig von ihrer abgrundtiefen Angst. Im Musical POEtry von Robert Wilson und Lou Reed, nunmehr im Thalia Theater uraufgeführt, ist dieses Lachen ebenso eine Konstante, und manchmal ist es sogar dazu angetan, dem Zuschauer einen Anflug von Bestürzung zu bescheren.

Leider überwiegen an diesem Abend andere Gefühle. Bereits im Prolog misstraut der Komponist und Librettist Lou Reed der erlesenen Musikalität in Poes Gedichten und schiebt The Conqueror Worm – lyrisches Herzstück der Erzählung Ligeia – eigene Verse unter, während er im Gegenzug das Original beschneidet. Dass dies dann in deutscher Übersetzung rezitiert wird, wie später Teile von The City in the Sea und dem sehr leicht verständlichen Annabel Lee, ist obendrein außerordentlich ärgerlich, weil Übersetzungen von Poe-Gedichten zwangsläufig ihr Wesentliches, nämlich ihren Klang verlieren. Aber das ist freilich gar nichts im Vergleich zu manchen Songtexten von Reed (die man glücklicherweise nicht auch noch ins Deutsche übertragen hat): Im Intro entblödet er sich nicht, den Refrain „These are the stories of Edgar Allan Poe/ He ain't exactly the boy next door“ schmettern zu lassen, und zwar mit einem Duktus, der ganz fatal an die Rocky Horror Show erinnert.

In POEtry sollte es laut Ankündigung um Leben und Werk des Dichters gehen, jedoch um sein Leben geht es schon mal überhaupt gar nicht. Wir sehen keinen Schauspielerwaisenknaben, keine abgebrochene Offizierskarriere, keine muffigen Redaktionsstuben, keine ausbeuterischen Verleger, keine Tanten und Verwandten, keine todkranke Kindfraukusine, kein Alkoholproblem, keine Armut. Wir sehen eine junge Poe-Verkörperung (Dirk Ossig) und eine ältere, die sich mal als Akteure, mal als Zuschauer in Texten wiederfinden, als deren Autor Poe mal zu Recht, meistens allerdings zu Unrecht gelten darf.

Es ist ganz bezeichnend, dass jene Szene am eindrucksvollsten und atmosphärisch am stimmigsten ist, die vornehmlich auf die Kraft eines originalbelassenen Poe-Gedichts setzt. Christoph Bantzer spricht auf Englisch The Raven, derweil er in Wilson-Manier von drei ätherischen Damen umschlichen wird und drei abstrahierte Raben-Varianten im Wechsel ins Bild kommen. Vorn an der Rampe sitzt ein „mechanischer Mann“ und entert immer wieder die leis-drückende Stimmung, indem sein Zeigefinger an sein Ohr schnellt und dadurch verstörende – und verstörend laute – Bohrmaschinengeräusche evoziert. Hier ist die Inszenierung sehr nahe dran an einer Qualität, die eigen ist und sich Poeschen Ideen trotzdem in angemessener Weise verdankt.

Geschickt wird auch die Erzählung The Tell-Tale Heart in Wilson-Sprache transferiert: Sieben Lampen nähern sich blendend dem Publikum, sieben Kissen löschen sieben blassblau leuchtende Geieraugen aus, bevor der verhasste Alte unter den Bühnenbrettern verschwindet, während im Hintergrund ein hoher Lichtspalt beständig in seiner Farbe alterniert, und schließlich stimmen drei Polizisten den noch besten Reed-Song, Walking on embers, an. Dagegen grenzt die Wilson/Reed-Version von The Fall of the House of Usher geradezu an eine Diffamierung des Autors: Björn Grundies spielt den hypersensiblen, nervösen und depressiven Hausherrn Roderick als schlicht lächerliche Figur. Katastrophal.

So ließe sich viel schon im Ansatz Misslungenes aufzählen, und vielleicht noch dreieinhalb kurzfristig fesselnde Momente wären zu berichten, die aus dem Text-Bild-Musik-Brei namens POEtry herausragen. Insgesamt setzt sich so eine Tendenz fort, die in Hamburg mit Time Rocker bereits einen recht tiefen Punkt erreicht hatte. Nun ist das Libretto noch schwächer, die Geschichte hat gar keine innere Spannung mehr, die Musik: na ja, die Schauspieler sind (überraschenderweise) stimmlich vollkommen überfordert, und Wilsons Bildsprache ist mittlerweile derart bekannt, dass es ihr kaum mehr gelingt zu erstaunen mit ihren freischwebenden Händen und freischwebenden Köpfen und freischwebenden Frauen, mit ihren Maßstabsanomalien, nach oben und hinten strebenden Frisuren, den langen Gewändern und langen Fingernägeln, mit ihren strengen Architekturen, kleinen Entzündungen und ewiggleichen Posen, und das Licht ist diesmal besonders beliebig-bunt geworden. Wo sind die Geheimnisse hin, wo bleibt die Bedrohung, wo das Makabre, gerade in einem Stück, das auf Edgar Allan Poe rekurriert? Es schimmert lediglich noch ein Abglanz besserer Tage.

Ursprünglich sollte POEtry mit dem Gedicht The Bells schließen, einem Stück revolutionärer Lyrik also. Stattdessen hat man sich für Poes letzte Erzählung entschieden: Hop Frog, eine auch biografisch aufschlussreiche Rachegeschichte. Dieser letzte Spaß des verkrüppelten Hofnarren wirkt indes bei Wilson so harmlos, dass Reed nahezu ohne Bruch den Abend mit der Versöhnungsschnulze Guardian Angel ausklingen lassen kann. Ich würde darauf wetten, dass der zahnlos gewordene Bilderschöpfer Bob und der intellektuelle boy next door Lou mit POEtry ebenfalls ihren letzten gemeinsamen Spaß hatten.

weitere Vorstellungen: 18. bis 21., 24. bis 27., 29. Februar, 1., 3. bis 5., 17. bis 20. März, Thalia Theater

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