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Die Schrecken der Moderne

Lebt der Kolonialismus im Fortschrittsglauben weiter? Zwei afrikanische Filme im Forum zeigen den alltäglichen Spagat zwischen Dorf- und Stadtleben ■ Von Brigitte Werneburg

Als Jean-Marie Téno letztes Jahr im Forum seinen „Chef!“ zeigte, war diese Videoproduktion eine kleine Sensation. Wenige Szenarien, wie die drohende Lynchjustiz an einem jungen Hühnerdieb, die Vorbereitungen auf eine Hochzeit oder die Situation in einem Gefängnis, reichten ihm, um mit den Missständen der Ein-Parteien-Herrschaft in Kamerun abzurechnen. Nun ist er mit seinen „Vacances au pays“ ins Forum zurückgekehrt, einem 35-mm-Film, in dem er sich in die Stadt zurückbegibt, in der er vor rund 30 Jahren das Lycée Leclerc besuchte. Auch dieser Film hat seine Momente, aber mit den perfekten 35 mm ist nicht nur das Gegrissel des Videos verloren gegangen, sondern auch der rauhe Elan von „Chef!“, der bittere Witz und die Schärfe.

Nicht, dass die Ferien auf dem Land freundlichere Einstellungen von Kamerun zeigten: Das Gymnasium gammelt dem Zerfall entgegen, das Viertel, in dem er wohnte, ist zum Autoschrottplatz verkommen, im Dorf seiner Großeltern, weiter im Westen, findet noch immer der große Jugendkongress statt, aber statt Gemeinschaftsaufgaben zu regulieren sind alle nur auf ein Besäufnis aus. Wo Téno in „Chef!“ konkrete Politik diskutierte, diskutiert er jetzt ein sehr viel generelleres Konzept von „Modernität“. Und damit wird auch seine Kritik weniger greifbar und seine Hoffnung auf wahre Modernität ein Gemeinplatz: „Für mich bedeutet Modernität das Streben danach, die gegenwärtigen Ungerechtigkeiten auszugleichen und die Schrecken der Vergangenheit wie Sklaverei und Kolonialisierung vergessen zu machen, damit kein Volk dieses Planeten mehr Not leiden muss.“

Dem hatten die „Fragments de vie“ von François L. Woukoache tatsächlich die Besonderheit der Momentaufnahmen voraus. Es geht um drei reale Vorfälle, die der Filmemacher in Episoden fiktionalisierte. Ein junger Arbeitsloser wird getötet, ein Mädchen rächt sich an einem korrupten Polizeichef, der ihren Vater umbrachte, und eine Prostituierte trifft ihre große Liebe wieder. Es sind kleine Vignetten des afrikanischen Alltags, die Woukoache zeigt, und sie bestechen durch die Kamera- und Schauspielerführung, die wunderbare Musik und die großartigen dokumentarischen Bilder des Nachtlebens in Äquatorialafrika.„Vacances au pays“. Regie: Jean-Marie Téno; Kamerun, 75 Min. Heute, 12 Uhr, Arsenal; 16. 2. und 26. 2., 20 Uhr, Haus der Kulturen der Welt„Fragments de vie“. Regie: François L. Woukoache; Kamerun, 85 Min., 20. 2., 18 Uhr, Haus der Kulturen der Welt

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