: Von Biokitsch und Volkssturm im Wasserglas
Konservative Abgeordnete wollen ein Projekt des Aktionskünstlers Hans Haacke im Reichstag verhindern. In dem Blumenbeet mit dem Schriftzug „Der Bevölkerung“ haben sie eine „skandalöse Verneinung des deutschen Volkes“ entdeckt ■ Von Rolf Lautenschläger und Andreas Spannbauer
Wer die Begriffe definiert, definiert die Wirklichkeit. Abgeordnete von CSU und CDU haben deshalb in Berlin einen regelrechten Kulturkampf um die Vokabeln „Volk“ und „Bevölkerung“ ausgerufen. Per Gruppenantrag im Bundestag wollen die konservativen Parlamentarier verhindern, dass der Schriftzug „Bevölkerung“ in großen weißen Neonbuchstaben vor den Fenstern ihrer Büros erstrahlt.
Gegenstand des Streits ist die geplante Blumenbeet-Installation des Aktionskünstlers Hans Haacke mit dem Titel „Der Bevölkerung“. Der Zustimmung des Kunstbeirates zum Trotz halten die Konservativen an ihrer Absicht fest, das Projekt, das im nördlichen Ehrenhof des Reichstages installiert werden soll, zu kippen. Von Skandal, von Beleidigung ist die Rede. Das geht so weit, dass sich morgen der Ältestenrat des Bundestags mit der Blumenbeet-Affäre beschäftigen muss – als hätte der nichts Besseres zu tun.
Verantwortlich für den Zorn der CDU/CSU-Politiker ist die Kunst-Widmung „Der Bevölkerung“. Haackes Arbeit sieht vor, diese in über einen Meter großen weißen Neonbuchstaben in das zwanzig mal sieben Meter große Blumenbeet einzulassen. Gefüllt werden soll der Holztrog mit 669 Zentnern Erde. Genauer gesagt: „Heimaterde“. Denn jeder der 669 Abgeordneten soll 50 Kilogramm Erde aus seinem Wahlkreis zu dem „interaktiven Kunstwerk“ beisteuern. Auf ihr wird – frei von gärtnerischen Eingriffen – wachsen, was die Berliner Luft hergibt.
Wird wachsen? Viele der Abgeordneten denken gar nicht daran, dem Konzeptkünstler Haacke floristisch zur Hand zu gehen. Denn dieser versteht sein Werk als expliziten, kommentierenden Gegenentwurf zu der bronzenen Inschrift „Dem Deutschen Volke“ über dem Portal des Reichstags, der Haackes Leuchtschrift in Typus und Größe nachempfunden ist.
Der CSU-Abgeordnete Peter Ramsauer macht in diesem Sachverhalt eine „skandalöse Verneinung des deutschen Volkes“ aus. Ramsauer hat bereits angekündigt, er wolle „lieber einen Zentner Erde auf den Watzmann“ schleppen als „zu diesem Dreckhaufen nach Berlin“. Schließlich seien auch die DDR-Bürger 1989 nicht mit der Parole „Wir sind die Bevölkerung“ auf die Straße gegangen.
Seinen Kollegen Norbert Lammert (CDU) erfüllt die politische Absicht des Künstlers ebenfalls mit Ärger. Haacke hat in einer sechsseitigen Stellungnahme den Begriff Volk als aggressiv und ausgrenzend bezeichnet und auf Begriffe aus dem NS-Vokabular wie „Volksgerichtshof“ und „Volkstumspolitik“ verwiesen. Lammert weist im Gegenzug darauf hin, dass die Inschrift erst 1916 und gegen den Widerstand von Kaiser Wilhelm II. angebracht wurde. Der Deutsche Bundestag dürfe sich „wegen der Bedeutung der aufgeworfenen Fragen“ weder hinter dem Ältestenrat noch hinter dem Kunstbeirat verstecken, so der kulturpolitische Sprecher der CDU-Fraktion.
Auch der Kunstbeirat, der dem Entwurf Ende Januar zugestimmt hat, distanziert sich von den Aussagen Haackes. „Textliche Erläuterungen des Künstlers“, so heißt es in einer Erklärung, seien „nicht als Teil des Kunstwerkes anzusehen“. Doch nach Ansicht der Experten stellt der Schriftzug „Der Bevölkerung“ keine Distanzierung zu der Giebelinschrift dar, sondern vielmehr eine Ergänzung. Die Rede ist von einem „zeitgemäßen Denkanstoß“ und einer „Anregung für Kontroversen über Aufgaben und Ethos von Parlamentariern“.
Die CDU/CSUler haben ihren Teil dazu bereits beigetragen. „Die verhalten sich wie programmiert“, kommentiert ein Sprecher von Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, die aus ästhetischen Gründen zu den Gegnerinnen des Projekts zählt und im Beirat gegen die Realisierung gestimmt hat. Sie hält das Werk Haackes für „Biokitsch“.
Der so genannte Kitsch zur ästhetischen Erziehung der Parlamentarier ist nicht zum erstenmal Thema im Bundestag. Schon zu Beginn der groß angelegten Aktion „Kunst im Reichstag“ 1998, für die der Bund 60 Millionen Mark stiftete, gab es Krach. Kaum hatte der Kunstbeirat den Leipziger Maler Bernhard Heisig ausgewählt, den Reichstag mit geschichtsträchtigen Werken auszustatten, drehten Abgeordnete und ehemalige DDR-Dissidenten durch.
Der Bundestag vertrage keine Altlasten vom Stile Heisigs, so das Gezeter. Der DDR-Nationalpreisträger setze mit seiner expressiven Kunst des sozialistischen Realismus die Würde des hohen Hauses aufs Spiel. Ergo: Die Freiheit der Kunst und die Demokratie sind gefährdet. Anstelle des Künstlers Heisig sollten „saubere“, unangepasstere Künstler wie Penck oder Altenbourg in den Reichstag. „Weder Breker noch Heisig“, polterten die Gegner, gehörten in das neue Parlament.
Es ist ein Glück, dass sich die Haltung zu unpolitischer, ja unkritischer Kunst nicht durchgesetzt hat. Das Programm zur „Kunst am Bau“, so Beiratsmitglied Klaus Bussmann, hielt an der ästhetischen „Auseinandersetzung mit Themen zur deutschen Geschichte“ sowie an innovativen kritischen Projekten fest. Als schiere Provokationen gelten die Werke von Sigmar Polke, Jenny Holzer, Gerhard Richter, Georg Baselitz und 40 anderen zwar nicht. Doch die Arbeiten stehen für den offenen künstlerischen Diskurs zwischen Politik und Kunst, zwischen Kommentar und Ausschmückung.
Soll dies nun revidiert werden? Ein Ende der Äffäre Haacke jedenfalls ist abzusehen. Das notwendige Quorum für den Gruppenantrag haben die Konservativen schon erreicht: In den nächsten Wochen könnte dann der Bundestag über das Projekt „abschließend und verbindlich“ über die „Bevölkerung“ bescheiden, wie der CDU-Mann Lammert hofft. Das wäre Zensur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen