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Hurra, wir sind tot

Andacht mit Obacht: Der verdienstvolle Zyniker Randy Newman sang in Berlin

Der Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie ist nicht gerade ein Rockpalast. Genau der richtige Ort für das angegraute Ex-Hipster-Publikum von Randy Newman also. Sichtlich genießt so mancher beim Blick ins Sektglas die Emporhebung des 57-jährigen Sängers in die Vorhölle des Klassikhimmels. Wer hier spielt, hat es geschafft. Und hinter sich. Wer dabei sein darf, auch.

Schön jedenfalls, wie dieses Publikum Newman die Reverenz erweist. Und das nicht in erster Linie für seine erfolgreichen Filmmusiken etwa zu „Toy Story“ oder „A Bug’s Life“. Im Chor singen sie „He’s Dead“, Randy antwortet: „I’m dead, but I don’t know.“ Ein Schelm, wer dabei an Rockgeister wie Mick Jagger denkt, deren Nicht-abtreten-Wollen eine ganze Generation in ihrer Affirmation bestätigt. Apropos Nicht-abtreten-Wollen: Genüsslich zitiert Newman in seinen Ansagen immer Leute wie Elton John, Stevie Wonder oder gar Bands wie Status Quo herbei – alle haben sie Songs von ihm gecovert. Oder Joe Cocker, der Millionen verkauft hat von seiner Version von Newmans „You can leave your hat on“, die bekanntlich gern in deutschen Schlafzimmern zu Striptease eingesetzt wird. Randy erzählt bei diesem Lied immer, dass er, als er den Song „als Kind“ schrieb, das ganz anders, quasi unschuldig meinte. So kann es kommen.

Ein Newman-Konzert muss seine Merkwürdigkeiten haben, sehr merkwürdig an diesem Montag ist die Perspektive im Kammermusiksaal. Der Solist sitzt an seinem Flügel im Zentrum einer nicht existenten Bühne, von allen Seiten umringt von seinen Fans, die sich bis unters Dach stapeln. Nichts für Paranoiker. Der Sound auf den billigen 80-Mark-Plätzen ganz oben ist viel zu dünn. Das führt zu einem fast überkonzentrierten Mithören. Besonders bei Newmans zahllosen melancholischen Mitfühlnummern über unser Leben im Allgemeinen und seins im Besonderen. Eben weil er kein eitler Fatzke ist, der sich gern im Mittelpunkt sehen würde, wirkt seine Platzierung in der Mitte selbst wie Ironie. Man hätte keinen schlechteren und absurderen Ort für dieses Konzert wählen können – und deshalb ist es genau der richtige Ort.

Denn wie sonst ließe sich die eben nicht nur ironische Melancholie von Stücken ertragen, in denen Karl Marx sich im Grabe umdreht, in denen Sklaven die Freiheit des amerikanischen Traums gepriesen wird und wir plötzlich mit Randy um unsere erste Ehefrau weinen – die wir, blöd und verdammt menschlich, wie wir Zyniker eben sind, immer noch lieben? Vom Zynismus zur Liebe – welcher Sänger schafft schon einen solchen Spagat? Nur Randy Newman! Andreas Becker

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