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Nackter Formalismus ist reaktionär

betr.: „Das paradoxe Erbe des Dagegen“ (Die FPÖ als Protestbewegung betrachtet oder: ...) von Peter Fuchs, taz vom 14. 2. 00

Jeder nackte Formalismus ist entschieden reaktionär! Wenn man die Form zweier qualitativ unterschiedlicher Dinge herauspräpariert, um sie vergleichen und gleichsetzen zu können, verlässt man die lebendige dialektische Diskussion um des Pudels Kern. Die Protestaktionen, die sich an den heute so belächelten Gut-Themen des Friedens, der sozialen Gleichheit, des verantwortungsvollen Umgangs mit der Natur festmachten, mögen in der Aktion plakativ gewesen sein und implizit alle Meinungsgegner als unmoralisch abgestempelt haben, die Aktion selbst war jedoch nur der Extrakt aus einem breiten Informations-, Diskussions- und Meinungsbildungsprozess, an dessen Ende die scheinbar so undifferenzierende Entscheidung zwischen „Gut“ und „Böse“ stand.

Es wirkt bedrohend, wenn Menschen das Recht zur Parteinahme für das „Gute“ aberkannt wird. Den Linken wird untergeschoben, die Rechten befördert zu haben, indem sie die Protestformen entwickelten, die nun auch Rechte benutzen, ja, dass die Träger egal welches Protestinhalts auf die andere Seite überwechseln, sobald sie an der Macht sind: „Sie werden zivil und mörderisch.“ Meiner Logik nach werden nach Ansicht von Peter Fuchs dann vorher zivile Bewegungen (also linke, gegen soziale Ungleichheit kämpfende) mörderisch, vorher unzivile, rechte Bewegungen zivil, sonst könnte man ja nicht vom „Seitenwechsel“ beziehungsweise „Oszillieren“ sprechen.

Fazit des Artikels: Jeder Protest ist undemokratisch, charakterlos, also unmoralisch. Fazit meines Leserbriefes: Diese Ansicht ist reaktionär, zutiefst herrschaftsstabilisierend, die wertvollste Fähigkeit menschlichen Verstandes, qualitative Inhalte zu werten, verachtend, utopielos, antihumanistisch. Lydia Riedel-Tramsek, Kirchardt

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