: 20 Beine können mehr als 22
■ St. Pauli gewinnt dank einer Roten Karte mit 2:1 gegen Stuttgarter Kickers in der 2. Liga
Dass eine Rote Karte ein Spiel entscheidet, kommt nicht gerade selten vor. Dass sie die Begegnung allerdings zu Gunsten des dezimierten Teams beeinflusst, dürfte eine Stilblüte der diesjährigen Zweitligasaison sein.
Es geschah in der 49. Spielminute: St. Paulis Defensivmann Dirk Wolf, bis dahin nur als Unruheherd in der eigenen Abwehr aufgefallen, wurde von einem Stuttgarter Spieler beim Stand von 1:1 – die Führung der Hamburger durch Ivan Klasnic (12) hatte Adnan Kevric in der 45. Minute egalisiert – gefoult. Dies erboste ihn trotz des sofortigen Pfiffes von Schiedsrichter Frank (Hannover) dergestalt, dass er den Ball wütend von dannen warf: Grob unsportlich und ergo rotwürdig, wie der Referee befand.
St. Paulis Spieler und deren 11.937 Fans unter den 11.977 Zuschauern sahen es anders und wiesen fürderhin etwas entschlossener ihre Existenzberechtigung nach: Unter den beherzten Anfeuerungsrufen des indignierten Publikums griff St. Pauli vehement an, die Stuttgarter suchten ihr Heil trotz numerischer Überlegenheit in der Defensive. In der 66. Minute nützte auch das nichts mehr: Der eingewechselte Cem Karaca fiel im Strafraum so theatralisch über ein imaginäres Bein, dass der überforderte Schiedsrichter die Stunde gekommen sah, um seine zuvor recht willkürlich gegen die Heimmannschaft ergangenen Pfiffe wieder gut zu machen. Den nicht fälligen Elfmeter verwandelte Marcus Marin zum Endstand von 2:1. Auch danach berannte die Heimmannschaft engagiert das Gästetor, erspielte sich aber kaum noch zwingende Torchancen. Die einzige vergab Marin in der 74. Minute.
Dennoch dauerte es bis zur 85. Spielminute, ehe die Schwaben merkten, dass aus der Überzahlsituation durchaus mehr zu machen gewesen wäre als eine Niederlage. Doch St. Paulis Keeper Carsten Wehlmann vereitelte die einzige Chance durch Kevric. Und nicht nur der schwäbische Trainer Michael Feichtenbeiner wunderte sich, warum die Platzherren erst dezimiert werden mussten, um Fußball zu spielen: „Der Schiedsrichter hat dadurch, dass er einen St. Paulianer vom Platz gestellt hat, das Spiel für St. Pauli entschieden. Erstens weil er danach glaubte, den Elfer pfeifen zu müssen. Und zweitens, weil er Mannschaft und Fans danach erst aufgeweckt hat.“
Ein Teil der Fans war jedoch schon vor dem Anpfiff aktiv. Gegen den mittlerweile zu den Akten gelegten Plan von St. Paulis Präsident Heinz Weisener, der vorsah, das geplante neue Stadion in einer riesigen „Multiplex“-Halle aufgehen zu lassen, hatte sich Protest formiert. Dieser konzentriert sich immer mehr auf die Person Heinz Weiseners, von dem auch einstmals in Nibelungentreue ergebene Medien abzurücken beginnen. Anno 2000 dürften die Chancen der kritischen Fans, das Interesse der Öffentlichkeit durch originelle Aktionen zu erwecken, jedoch eher minimal sein.
Es sei denn, sie betrauen originellere Menschen mit dem Entwerfen des Protestmaterials. Die pflichtschuldig zum Anpfiff präsentierten Spruchbänder („Lügen-Papa“. „Weisener raus“) entsprachen jedenfalls eher „Teletubbie“-Niveau. Christoph Ruf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen