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Brooh! ■ Von Joachim Schulz
Ohne pathologischen Frohsinn ist man heutzutage ziemlich im Eimer. In jedem Lifestyle-Magazin ist zu lesen, dass eine serienmäßige Ausstattung mit guter Laune die Grundvoraussetzung ist, um einen klasse Job zu bekommen und Spaß beim Autofahren zu haben. Indessen gehört eine wetterfeste Fidelität auch für Leute wie Sie und mich zu den existenziellen Notwendigkeiten.
Sehr leicht nämlich fällt man dem Trübsinn anheim, wenn man sich beiläufig darüber klar wird, dass die Geschöpfe mit klasse Jobs und Spaß am Autofahren das vorläufige amtliche Endergebnis von mehreren zehntausend Jahren Zivilisationsgeschichte sind. Nur eine stabile humorige Contenance vermag uns davor zu schützen. So weit die Theorie.
Doch morgens, wenn der Wecker kreischt, sind wir empfindlich wie die Nacktschnecken. Zwar schaffen wir es meistens, uns noch vor dem Zähneputzen unser mokantes Grinsen ins Gesicht zu kleben. Bisweilen aber machen wir auf dem Weg ins Bad einen Fehler, blicken kurz hinaus in den Nieselregen, und zack! – schon haben wir einen Knacks weg. In dem Gesicht, das uns kurz darauf aus dem Spiegel entgegenblickt, lässt sich auch unter Verwendung einer größeren Schachtel Reißzwecken kein Grinsen mehr befestigen. Und weil das so ist, tapern wir geradewegs zur Besenkammer hinüber und kramen ein trötenähnliches Instrument hervor, auf welchem wir unumwunden zu spielen beginnen.
Das Instrument heißt Trübsal, und wenn wir hineinblasen, macht es „Brooh!“. Ganz klar, dass aus diesem Tag nichts mehr werden kann. Beim Brötchenholen: „Brooh!“. Beim Kaffeekochen: „Brooh!“. Beim stundenlangen Starren an die Wände: „Brooh!“. Am frühen Nachmittag holt man sich – „Brooh!“ – das traurigste Buch der Welt, nämlich Fernando Pessoas „Buch der Unruhe“, aus dem Regal und fragt sich beim Lesen wieder einmal, wieso die Menschheit nach dem Erscheinen dieses Werkes keinen kollektiven Selbstmordversuch unternommen hat: „Wir alle, die wir träumen und denken, sind Buchhalter und Hilfsbuchhalter in einem Stoffgeschäft oder irgendeinem anderen Geschäft in irgendeiner Unterstadt. Wir führen Buch und erleiden Verluste; wir ziehen die Summe und gehen vorüber; wir schließen die Bilanz, und der unsichtbare Saldo spricht immer gegen uns.“ – „Brooh!“.
Zum Glück aber ist diese Schwermütigkeit ansteckend wie ein fieser Februarschnupfen. Zum Glück? O ja. Denn abends – „Brooh!“ – wenn wir in der von uns bevorzugten Gastwirtschaft eingetroffen sind, können auch unsere Kumpane sich dem tristen Tuten der Trübsal nicht entziehen. Eben noch waren sie munter und ausgelassen – im Nu aber tun sie’s uns gleich und blasen in die Tröten, die sie in der Manteltasche stets bei sich führen.
Doch wenn dann zwei, drei Biere später irgendeiner aus der Runde bemerkt, dass wir unsere exorbitanten Fähigkeiten eigentlich versilbern und als „The Jammerheimers“ auf Welttournee gehen könnten, steigt die Stimmungskurve in rasantem Tempo wieder an, und über vielen gar nicht übellaunigen Scherzen über das „professionelle Trübsalspiel“ wird es am Ende doch noch ein ziemlich lustiger Abend.
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