: Der Marathon-Nazi
Er ist SA-Fan, gewaltbereit und wurde von Freunden zum „Reichsverteidigungsminister“ ernannt: Nun will Oliver Schweigert für Horst Wessel demonstrieren ■ Von Andreas Spannbauer
Oliver Schweigert kann zupacken. Fest zupacken. „Los, raus hier“, brüllt der kräftige, große Mann in der ärmellosen schwarzen Militärjacke die umstehenden Journalisten an. Dann stößt er einen Kameramann aus dem Weg. Schweigert ist einer, der gerne Ordnung schafft. Er dirigiert die Reihen seiner Anhänger, brüllt Befehle, drängt Umstehende aus dem Weg. Hinter ihm, die Reihen fest geschlossen, marschieren seine Anhänger mit schwarz-weiß-roten Fahnen und schreien sich für den „nationalen Widerstand“ die Kehle aus dem Leib.
Schweigert ist einer ihrer Anführer. Ein Marathon-Nazi. Über zwölf Jahre ist der gebürtige Westberliner in der neonationalsozialistischen Bewegung aktiv. Für den Mann mit dem ausrasierten Stiernacken und der bulligen Statur hat sich das Durchhalten gelohnt. Lange Zeit war der heute 32-Jährige in der rechten Szene das Omega-Tier, einer, dem ehemalige Kameraden „keine besonderen geistigen Fähigkeiten“ attestieren. Einer, der nach der Wende die Neuzugänge aus dem Osten Deutschlands in nationalsozialistischer Ideologie schulen sollte, sich dafür aber schnell als beschränkt geeignet erwies. Einer, der in der rechtsradikalen Partei „Nationale Alternative“ erst dann zum Vorsitzenden aufstieg, als es mit der Gruppe längst bergab ging. Einer, dessen größte Stunde wohl geschlagen haben dürfte, als ihn Anfang der Neunzigerjahre der österreichische NS-Führer Gottfried Küssel in Wien für den Fall der „Machtergreifung“ zum „Reichsverteidigungsminister“ ernannte.
Heute ist Schweigert eine der wichtigsten Figuren der militanten Neonazis in Berlin und Brandenburg. Und der Name seines Vorbildes ist Wessel. Horst Wessel. Am kommenden Samstag will Schweigert, der erst vor wenigen Wochen mit der NPD durch das Brandenburger Tor marschiert ist, mit einer Demonstration an den SA-Sturmführer erinnern und durch den „ehemaligen Wirkungsbereich“ des „leuchtenden Vorbildes“, die Bezirke Friedrichshain und Mitte, marschieren (siehe unten).
Schweigert ist Anmelder der nekrophilen SA-Verherrlichung, die von der Versammlungsbehörde gestern verboten wurde. Der gelernte Kfz-Schlosser gilt als glühender Verehrer der Gebrüder Gregor und Otto Strasser und des SA-Führers Ernst Röhm. Fast wahnhafte Züge aber hat die Bewunderung Schweigerts für den „Werkstudenten“ Wessel angenommen. Ein früherer Mitbewohner erinnert sich: „In der ganzen Zeit, in der er bei mir gewohnt hat, hat er immer das gleiche Buch gelesen, eine Biografie von Horst Wessel.“ Wenn er einmal nicht das Buch zur Hand genommen habe, sei auf der Mattscheibe der NS-Propagandafilm „Hans Westmar“ gelaufen, in denen die Nationalsozialisten die Taten des SA-Führers Wessel filmisch aufbereitet haben.
Seinen Rang in der rechtsextremen Szene hat sich Schweigert weniger mit seinem Intellekt, sondern vielmehr durch Brutalität erkämpft. Bei der Beerdigung des Neonazi-Führers Michael Kühnen griff er linke Gegendemonstranten mit einer Zaunlatte an. Ehemalige Weggefährten nennen ihn einen „Überzeugungsgewalttäter“, der sich mit Beharrlichkeit und Bauernschläue hochgearbeitet habe. Privat sei Schweigert dagegen eher ein gemütlicher Typ, der die Abende mit Weißbier und Nintendo-Spielen verbringt. „Das ist einer, der Türken wie blöd hasst, aber trotzdem abends seinen Döner essen geht.“
In der Weitlingstraße 122, einem 1990 von Neonazis besetzten Haus in Berlin-Lichtenberg, hat Schweigert die Größen des internationalen Rechtsextremismus kennen gelernt. Die Insassen des Hauses planten den Kampf für die Wiederzulassung der NSDAP und probten den Straßenkampf. Mit beachtlicher Gewaltbereitschaft: Bei einer linken Demonstrantion wollten die Hausbewohner damals 400 Liter Benzin vom Dach schütten und die Demonstranten hinterher anzünden. Mehrmals die Woche zogen sie außerdem zum nahe gelegenen Bahnhof, um dort Ausländer zu verprügeln.
Mitte der Neunzigerjahre half Schweigert mit, die Gedenkmärsche für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß zu organisieren, meldete Demonstrationen gegen die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ an, war bis zu dessen Schließung Ende 1998 häufiger Gast im rechtsradikalen „Café Germania“ in Lichtenberg. 1996 verurteilte ihn das Landgericht Berlin zu vier Monaten Haft: In seiner Wohnung hatte die Polizei Kopiervorlagen des verbotenen „NS-Kampfruf“ gefunden.
Auch in der linken Szene ist Schweigert deshalb gefürchtet. Ein Schüler, der mit ihm persönlich zu tun hatte, denkt nur ungern an Begegnungen zurück: „Immer, wenn der mich an der Bushaltestelle gesehen hat, hat er sich ein Tuch über das Gesicht gezogen und ist auf mich losgerannt.“ Als die Polizei 1994 das Haus des Nazi-Rockers Arnulf Priem stürmte, war Schweigert mit von der Partie. Die Kameraden hatten sich die Zeit damit vertrieben, vom Dach der Wohnung von Arnulf Priem aus mit Stahlkugeln auf Journalisten zu schießen.
Heute beschäftigt sich Schweigert vor allem mit der Erfassung von Daten seiner politischen Gegner. Schon vor über zehn Jahren soll er nach Angaben von Aussteigern damit begonnen haben, Adressen von Linken zu sammeln. Der Zeitschrift Antifaschistisches Infoblatt gilt Schweigert als Hauptaktivist der „Anti-Antifa“ in Berlin. Das Landeskriminalamt ermittelt gegen mutmaßliche Angehörige der „Anti-Antifa“ wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Das Landesamt für Verfassungsschutz attestiert Schweigert und seiner Gruppe immerhin eine „gewisse Grundgefährlichkeit“.
Das scheint untertrieben. Schweigert stand bereits wegen Körperverletzung und gemeinschaftlicher Brandstiftung vor Gericht. Aus seinem Umfeld kommt es immer wieder zu schwersten Straftaten. So war er zusammen mit dem Treptower Neonazi Detlef Nolde Mitglied der verbotenen FAP. Nolde war 1997 an einer Messerstecherei beteiligt, in deren Verlauf sein Begleiter zwei Wittenberger Neonazis mit Stichen ins Herz tötete – das Landgericht Berlin verurteilte Nolde später zu zweieinhalb Jahren Haft wegen gefährlicher Körperverletzung.
Auch mit dem Polizistenmörder Kay Diesner ist Schweigert persönlich bekannt. Beide waren in der Gruppe „Sozialrevolutionäre Nationalisten“ aktiv. In ihr planten Mitglieder der Berliner Neonazi-Szene Anfang der Neunzigerjahre den Weg in den Terrorismus. Schweigert war einer der inoffiziellen Führer der Gruppe. Diesner, der angebliche Einzeltäter, tat das, worüber die anderen nur redeten, schoss mit seiner Pumpgun auf einen PDS-Buchhändler, tötete einen Polizisten.
Vergessen hat Schweigert seinen Kameraden nicht. Ende 1998 marschierten er und seine Kameraden vor der Justizvollzugsanstalt Tegel auf. „Freiheit für Kay Diesner“, stand auf einem der Transparente. Im Aufruf zum Horst-Wessel-Marsch am Samstag heißt es: „Wenn es gilt, sind wir stets bereit, für Deutschland das Leben zu wagen ...“ Auch der Amokläufer Diesner dürfte Sprüche wie diesen wörtlich genommen haben.
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