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Cowgirls für Suburbia

Alles geht nicht in Nashville. Aber vieles. Nachdem Garth Brooks zum Kinnbartrocker mutiert ist, sind Country für Shopping Malls und Spice-Girls-förmiger Country die jüngsten Sieger im Wettkampf zwischen Traditionalisten und Modernisierern ■ Von Jörg Feyer

Der erfolgreichste Pop-Solokünstler aller Zeiten schmollt. Nein, es ist nicht Elvis (der kann das nicht mehr), es ist nicht Michael Jackson und auch nicht Madonna. Es ist Garth Brooks, der kürzlich öffentlich über ein frühes Karriereende nachdachte. Musik spiele „nicht mehr die erste Geige“ in seinem Leben, lamentierte der Urban Cowboy in der Nashville-TV-Show „Crook And Chase“. Nicht wenige meinten, das habe sie sowieso noch nie.

Brooks hatte seinen Hut und die schicken Designer-Cowboy-Hemden vorübergehend an den Nagel gehängt, um Ende 1999 auf seinem letzten Album „In The Life Of Chris Gaines“ ein kleines Rollenspiel zu versuchen – als eine Art Grunge-Mumie. Gepuderte Leichenblässe, Kinnbärtchen, finsterer Blick unter pechschwarzer Gardinen-Perücke: Brooks sehe aus „wie ein fetter Chris Cornell“ (der Ex-Soundgarden-Sänger), spottete das britische Mojo-Magazin. Die dazugehörige Musik: gepflegt-anonymer Mainstream-Pop-Rock, wie ihn etwa auch Eric Clapton seit geraumer Zeit im Angebot hat.

Das war selbst den treuesten Fans zu viel. Brooks musste die Erfahrung machen, dass auch ein Mann, der 95 Millionen Platten verkauft hat und, wenn ihm danach ist, kurzerhand die Chefetage seiner Plattenfirma auswechselt, nicht alles bekommt, was er will. Was etwas Ironisches hat. Ausgerechnet Brooks, der Erfinder des Designer-Country, scheitert am Allzubeliebigen. Die Revolution frisst ihre Macher.

Es geht also doch nicht alles in Nashville. Aber es geht vieles. Brooks’ Karriereknick erwischt das Country-Geschäft an einem Punkt, da der ewige Konflikt zwischen Modernisierern und Traditionalisten wieder neu in Gang gekommen ist. Eine weitere Generation verspricht neue Umsätze mit Country-Varianten, die längst bei benachbarten Sparten und Stilen wildern gehen und dabei MTV-kompatible Szenarien hervorbringen. Nashville goes Postmoderne: Gut eingeführte Acts wie BR-5-49 lassen sich plötzlich von Alternative-Rock-Legende Steve Albini produzieren, um die mainstreamorientierten Radiostationen zu ködern. Teenagestar LeAnn Rhimes covert den Prince-Smash-Hit „Purple Rain“ – und schreckt auch vor einem Duett mit Elton John nicht zurück. Nein, Country ist längst nicht mehr das Format der „real working class“, also „des Busfahrers und des Typen, der jeden Tag auf den Nagel haut“ (wie BR-5-49-Songwriter Gary Bennett weiter glauben möchte). Country ist in den USA längst die Musik auch jener geworden, die jeden Tag in den Computer tippen und nach Feierabend in ein anonymes Suburbia der Mittelklasse entschwinden.

Als Lieblingsfeindbild aller Hüter des Guten, Wahren, Schönen aber hat sich Shania Twain etabliert. Ihr Stil ist vor allem eines: pragmatisch. Als sie vom amerikanischen Playboy unter die „Top 10 Sexy Stars of 1999“ gewählt wurde, posierte sie prompt selbst für das Männermagazin, freilich nicht ganz sooo freizügig, wie sich das die Kundschaft wohl erhofft hatte. Umgekehrt lässt Twain im Video zu ihrem letzten Hit „Man! I Feel Like A Woman“ die männlichen Model-Puppen tanzen – eine Parodie auf die Macho-Vorlage von Robert Palmer („Addicted To Love“) aus den 80er-Jahren. Insgesamt drehte sie acht (!) Clips für Songs aus ihrem aktuellen Album „Come On Over“. Für so eine Frau konnte selbst das breit ausgelegte Country-Format der 90er nicht breit genug sein. Überhaupt war Country nur eine Option unter vielen: wenn nicht gleich Las Vegas, dann halt eben erst mal Nashville.

Sehr zur Freude ihrer hiesigen Firma klappt das. Im notorisch countryresistenten Deutschland kam Twain mit Single („That Don’t Impress Me Much“) wie Album („Come On Over“) in die Top 10. Für die nächste Auskoppelung mit dem alle nur erdenklichen Käuferschichten ansprechenden Titel „Don’t Be Stupid (You Know I Love You)“ wurde gleich ein „Dance Mix“ ankündigt. „Fiddle und Banjo im Dancefloor-Stil – unschlagbar!“, jubiliert die PR-Abteilung, während es den Puristen vorab schon mal schön graust.

Doch jemandem vorzuwerfen, er habe keine Roots, der nie welche haben wollte, macht auf Dauer nicht zufrieden. Authentisch war und ist Twain insofern, als sie niemanden über ihr Ziel, „mich international durchzusetzen“, im Unklaren gelassen hat. Was dabei stört, muss auf der Strecke bleiben. Und seien es die zaghaften Einsätze von Fiddle und Lap-Steel-Gitarre, die gerade noch einen Platz haben in ihrer Shopping-Mall-Version von Country, für die eigens aufgelegte Europa-Version von „Come On Over“ allerdings komplett getilgt wurden.

Auf diese perfide Idee würden die Dixie Chicks – benannt nach dem Little-Feat-70s-Klassiker „Dixie Chicken“ – nie kommen. Und vermutlich jedem die Meinung geigen, der sie ihnen schmackhaft machen wollte. Martie Seidel, Emily Robison und Natalie Maines spielen das Nashville-Spielchen zwar mit, beharren allerdings auf eigenen Konditionen. Nach drei Independent-Veröffentlichungen erklärten die drei beim Wechsel zur Industrie vier Dinge für unverzichtbar: „1. Kein neuer Name! 2. Niemals nur 10 Songs auf einer CD. 3. Wir nehmen keine Songs auf, die wir nicht aufnehmen wollen. Und 4.? Ach ja: Wir spielen selbst auf unseren Platten!“ (Seidel).

Inzwischen erfüllt die Firma den Chicks vermutlich jeden Wunsch in vorauseilendem Gehorsam, nachdem ihr Major-Debüt „Wide Open Spaces“ (1997) bis heute über sechs Millionen verkaufte und der aktuelle Nachfolger „Fly“ gleich auf Platz 1 der US-Pop-Charts durchmarschierte – mit wöchentlichen Verkaufszahlen, die sogar Shania Twain um die Nase blass werden ließen. Kommerzieller Erfolg ist ausnahmsweise nicht an Ausverkauf gekoppelt, im Gegenteil: Gerade ihre musikalische Integrität sells.

Die „Country-Spice Girls“, wie sie Skeptiker zunächst tauften, bedienen das Klischee der sexy-selbstbewussten Blondinen, sie verkaufen sich blendend bei Jay Leno und schreiben gute eigene Songs – sind aber nicht so dumm, darüber die Arbeitsvorlagen profilierter Nashville-Autoren (Buddy Miller, Darrell Scott) zu ignorieren.

Im Booklet von „Fly“ triumphieren Seidel, Robison und Maines als Verwandlungskünstlerinnen zwischen Latex-Vamp und Rüschen-Engel – und sind mit dieser Flexibilität näher am Geheimnis ihres Erfolgs und des Wandels in Nashville, als sie ahnen. „Uns verwirrt das ja selbst“, gesteht Martie Seidel. „Die eine Hälfte der Fans sagt uns, dass sie Country sonst gar nicht mögen. Und die andere Hälfte ist stolz auf uns, weil wir so traditionell klingen. Was kann auch traditioneller sein als ein Banjo-Solo in einem Song wie ‚Sin Wagon‘?“ Gute Frage. Man sollte sie mal Garth Brooks stellen.

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