Die anderen:
Der Tagesspiegel meint zum Machtkampf in der CDU: Volker Rühe geht immerzu kämpferisch umher, ohne dass man genau weiß, wofür er gerade kämpft. Immer blickt er entschlossen in einen Sturm, auch wenn er nur auf dem Weg zur Reichstagskantine ist. Taktisch macht er zwar gerade einen herben Fehler, indem er die Wahlen in Schleswig-Holstein zu einer Volksabstimmung zwischen sich und Angela Merkel umfunktioniert. Doch mit dem CDU-Skandal geht er ähnlich um wie Koch: schärfstmögliche Angriffe auf den Gegner. Und die Kleinkriminellen. Die Kleinkriminellen? Gestern verkündete er sein Sofortprogramm. In der Agenturmeldung heißt es: „Unter einer von Volker Rühe geführten Landesregierung wird es keine Signale dahin geben, der Gesetzestreue sei der Dumme. Auch Bagatelldelikte – beispielsweise Ladendiebstahl unter 100 Mark – sollen geahndet werden.“ Ja, mit Kleinkriminellen gibt sich ein Christdemokrat nicht ab. Ganz so gut könnte Angela Merkel das nicht. Wenn Merkel mal so richtig scharf die SPD angreift, dann klingt das nach Pflicht. Das beeindruckt allenfalls die Medien und die Bürger, doch reicht es nicht für die verständlichen Rauz-Bauz-Bedürfnisse der Union. Rühe und Koch hingegen stehen für Kamerad- und Genossenschaft, für eine vergehende Gefühligkeit.
Zum gleichen Thema kommentiert die Berliner Zeitung: Bislang ist Angela Merkel politisch meist den Weg des geringsten Widerstands gegangen. In der Auseinandersetzung um den Abtreibungsparagrafen 218 folgte sie der Unionsmehrheit und lehnte die Fristenlösung ab. Als Umweltministerin stand sie fest an der Seite der Atombetreiber. Sie ist eine scharfe Kritikerin einer liberaleren Haltung der Union zur PDS. Nach anfänglichem Zögern unterstützte sie die Unterschriftenlisten gegen Ausländer im hessischen Wahlkampf. Und ihre parteiinterne Initiative für eine neue Familienpolitik muss noch daraufhin geprüft werden, ob sie wirklich modern ist oder nur einer gesellschaftlichen Entwicklung hinterherläuft. Erst nach einer inhaltlichen Debatte – die die Partei zwar vorgibt zu führen, die aber nirgends stattfindet – könnte man klarer sehen, ob mit Merkel wirklich ein „Linksruck“ durch die CDU ginge, wie die Bayern denunziatorisch meinen. Und ob ein Volker Rühe ein breiteres Spektrum der Partei repräsentiert. Nicht nur, aber auch an der Art, wie jetzt mit Angela Merkel verfahren wird, zeigt sich, dass die CDU weit davon entfernt ist, eine moderne Partei zu sein. Seit es Posten zu verteilen gibt, kämpfen die Herren also wieder mit den alten Mitteln. Ohne Not und mit Vergnügen.
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