Kommentar: Die amerikanische Mauer ■ Hitzige Diskussionen über ArbeitsimmigrantInnen
Wer Sehnsucht nach der Mauer hat, kann nach Nogales in Arizona fahren, da sieht man sie schon von weitem, die amerikanische Mauer, wie sie, aus Holz und Beton gebaut, den Konturen der Landschaft folgt. Wer Sehnsucht nach den Wartezeiten an der DDR-Grenze hat, der kann nach Tijuana reisen und von dort versuchen, mit dem Auto zurück ins kalifiornische San Diego zu fahren.
Die Situation ist absurd. Auf der mexikanischen Seite der Grenze leben Hunderttausende, die am liebsten in den USA arbeiten würden. Und dort wiederum gibt es tausende von Unternehmern, die sehr gern Mexikaner einstellen würden. Doch Amerikas Grenzpolizei versucht mit einer Mischung aus High- und Low-Tech, aus Mauer und Sensoren, Infrarotkameras und Stolperdrähten die Grenze hermetisch abzuriegeln.
Auch wenn die USA längst die Green Card haben, die Kanzler Schröder in Deutschland jetzt ins Gespräch brachte – die Diskussion um die Zuwanderung von Arbeitskräften ist auch in Amerika hitzig. Allerdings nimmt langsam die Erkenntnis zu, wie anachronistisch die Abschottung ist, die sich durch die Mauer an der mexikanischen Grenze symbolhaft zeigt.
So schockierte das Wall Street Journal seine konservativen Leser letzte Woche mit der Nachricht, Immigranten seien „pures Gold für die Wirtschaft“. Und zwar alle. Nicht nur die qualifizierten. Auch die USA kennen die Diskussion, die Kanzler Schröder sich gerade zu Eigen macht: dass nur gezielt jene Experten angeworben werden sollten, an denen gerade in den Schlüsselindustrien wie der Computerbranche ein unstillbarer Mangel herrscht. So ringt der Kongress immer wieder um die Berufsstände und die Quoten derer, die man einreisen lassen will. Alles Quatsch, rechnete das Wall Street Journal vor. Als Beispiel diente der Großraum Washington, Ergebnis: Immigranten schaffen Arbeitsplätze.
Das haben endlich auch die amerikanischen Gewerkschaften begriffen. Letzte Woche forderten sie geschlossen, summarisch etwa sechs Millionen illegale Einwanderer zu legalisieren. Wenn Wall Street und Gewerkschaften jetzt an einem Strang ziehen, dürfte der Zeitpunkt nicht mehr fern sein, da eine der letzten Mauern dieser Welt fällt, die braune Mauer in Arizona. Deutschland kann davon nur lernen, auch ohne Mauer.Peter Tautfest
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