: Gegen Angst helfen keine Appelle
Bundestagspräsident Thierse will der „schleichenden Zunahme von rechter Gewalt in Ostdeutschland“ entgegentreten. Bei seinen Diskussionen mit Jugendlichen kommt er nicht immer nur gut an ■ Aus Wernigerode/Milmersdorf Karin Nink
Beschwörend spricht Wolfgang Thierse auf die Schüler ein: „Wir überwinden Angst nicht durch Verschweigen und Resignation.“ Seit einer Stunde diskutiert der Bundestagspräsident im Gerhart-Hauptmann-Gymnasium in Wernigerode mit den Schülern und ihren Austauschpartnern von einem Bonner Gymnasium über rechte Gewalt. Die Veranstaltung ist Teil der Reise, die Thierse in Sachen „Jugend und Rechtsextremismus“ in den vergangenen Tagen gemacht hat.
Angesichts der „schleichenden Zunahme von rechter Gewalt und rechtem Gedankengut in Ostdeutschland“ wirbt er für Vertrauen in den Rechtsstaat und für mehr Zivilcourage. „Man muss alle Kräfte unterstützen, die sich der rechten Gewalt entgegenstellen. Sie brauchen neben politischer und finanzieller auch moralische Unterstützung.“
In Wernigerode hatte im Mai 1999 ein Skinhead dem Bonner Gastschüler Andreas während einer Schuldisco eine Bierflasche über den Kopf gehauen. Andreas hatte Glück. Er wurde nicht schwer verletzt. Der Bonner Lehrer wollte Anzeige erstatten. Aber Lehrer und Schüler aus Wernigerode rieten dringend davon ab – aus Angst vor der rechten Szene in dem kleinen Harzstädtchen. „Ihr fahrt morgen wieder weg, aber wir sind hier, und die Rechten nehmen uns die Bude auseinander“, hatten sie gewarnt. So blieb der Schläger unbehelligt.
Thierse machte keinen Hehl daraus, dass er die Entscheidung für falsch hält. Es sei ein „alarmierender Zustand, dass in Ostdeutschland eine Mehrzahl von rechten Gewalttaten nicht angezeigt werde“. Täter würden ermutigt, wenn eine Tat folgenlos bliebe. „Es gibt eine unterschwellige Bereitschaft, Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz hinzunehmen“, warnte der Bundestagspräsident. Die Bonner Schüler konnten ihm in seiner Argumentation folgen. Für die Schüler aus Wernigerode war es schwieriger. Die Fachwerkstadt ist keine Hochburg der Rechtsradikalen. Doch selbst dort scheinen sie stark genug, um andere einzuschüchtern.
In der Diskussion wird deutlich, wie gering das Vertrauen der ostdeutschen Schüler in den Staat ist, wie groß dagegen die Angst, Opfer rechtsradikaler Schläger zu werden. Es ist auch spürbar, wie allein gelassen die jungen Leute sich fühlen: Er sei in der Schuldisco auch einmal von Rechten angegriffen worden, erzählt ein Junge. Die Polizei, die er gerufen habe, sei sehr spät gekommen. In der Zwischenzeit hätten die Rechten ihm gedroht, wenn er sie anzeige, sei er nicht mehr sicher. Da habe er es gelassen. Eine andere berichtet, dass „Neunjährige mit dem Hitler-Gruß dastehen und selbst Lehrer nichts dagegen tun“. Es werde auch zu wenig im Vorfeld getan, meint sie. „Es gibt zu wenig Leute, die sich reinhängen. Viele Eltern und Lehrer leben daran vorbei.“ Thierse hört aufmerksam zu, will sich, so gut er es kann, reinhängen und appelliert noch einmal an die jungen Leute: „Wenn wir nicht lernen, uns gegen die Rechtsradikalen zu wehren, wird es schief laufen.“
Hat Thierse in Wernigerode den Ton der jungen Leute getroffen, war das in der rechten Hochburg Milmersdorf kaum möglich. In dem interkulturell arbeitenden Jugendzentrum „Bruchbude“ verkehren viele junge Rechtsradikale. Seit der Sozialarbeiter Filippo Smaldino und seine Mitarbeiter mit den Jugendlichen arbeiten, hat die Gewalt gegen Aussiedler nachgelassen. Auf den Glatzen wachsen auf Drängen der Sozialarbeiter Stoppelhaare, und statt Springerstiefel tragen die Jungs Turnschuhe. Dennoch bezeichnen sich einige von ihnen immer noch gerne als „kleine Hobby-Hitlers“.
Im Gespräch mit dem Bundestagspräsidenten sind sie zurückhaltend, sagen kaum was. Thierse gibt sich Mühe, ist betont direkt. Aber er erntet nur Schweigen oder verlegenes Grinsen. Für die Rechten kommt der Politiker von einem anderen Stern.
Erst beim Stichwort Arbeitsplätze kriegen sie den Mund auf: „Es hat ja kaum einer noch 'ne Chance, einen Beruf zu lernen. Das schafft man nur mit Beziehungen oder sehr guten Noten.“ Die können sie nicht aufweisen. Häufig sind beide Eltern arbeitslos. Wer Arbeit hat, ist oft noch auf unterstützende Sozialhilfe angewiesen. Auf Thierses Einwand, dass es doch auch Bereiche wie die Computerbranche gebe, wo junge Leute gesucht würden, bekommt er zu hören: „Wie sollen wir denn einen Computer zahlen oder gar ein Studium?“
Smaldinos Projekt kann Erfolge aufweisen, aber es steht vor dem Aus, weil kein Geld mehr da ist. Thierse hat sich dafür eingesetzt, dass die Kürzungen zurückgenommen werden. Aber versprechen kann er nichts.
In Wernigerode mag die Diskussion mit dem Bundestagspräsidenten gereicht haben, um die Jugendlichen zu mehr Zivilcourage zu ermutigen. In Milmersdorf muss mehr passieren.
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