: Erschlagend lustvoll
■ Zum Auftakt des Kurt-Weill-Festivals gabs in der Glocke ein brillantes Weill-Konzert und eine ziemlich kitschige Premiere
„Das Konzertleben unserer Großstädte, das einer vergangenen Epoche bürgerlichen Wohlstandes seine Entstehung verdankt, ist heute nutzlos, unbrauchbar und überlebt“, wetterte Kurt Weill 1925 im Berliner Börsenkurier. Gleichwohl schrieb er für diesen Konzertsaal, ehe er nach Amerika emigrieren musste. Ob man ihn – den später genialen Song- und Opernkomponisten – in dieser Beziehung unter die großen Komponisten einordnen kann, bleibt auch nach diesem Konzert in der Glocke mit der Deutschen Kammerphilharmonie eine offene Frage. Denn sowohl im Violinkonzert von 1925 als auch in der zweiten Sinfonie von 1933 tummelt sich neben brillanten Einfällen immer auch eine neoklassizistische Betriebsamkeit hindemithscher und strawinskyscher Provenienz, bei der man sich nicht so richtig vorstellen kann, wie es mit der Ästhetik von Kurt Weill weitergegangen wäre, wäre er hiergeblieben.
Was nicht heißt, dass diese Stücke, gerade vor dem musikgeschichtlichen Background, nicht hoch interessant sind. Besonders, wenn sie so gut gespielt werden wie an diesem Abend unter der wahrhaft fulminanten Leitung von Peter Rundel. Die Mischung aus einer ganz traditionellen Dramatik und einer ungemein persönlichen melancholischen Morbidität, ja Resignation, wurde von ihm glänzend herausgearbeitet und geformt.
Das Konzert für Violine und Blasorchester op. 12 aus dem Jahr 1924 ist noch klassizistischer. Und einem Könner wie Kolja Blacher hört man in seiner interpretatorischen Intensität so gerne zu, dass man ganz vergisst, was gespielt wird: Das Konzert ist zuerst einmal von einer erschlagenden und lustvollen Virtuosität, nicht nur im paganinihaft aufspielenden „Notturno“ und „Cadenza“. Der klangexperimentelle Bläsersatz erscheint in reizvollem Kontrast dazu.
Die sorgfältige Detailgenauigkeit, die Kolja Blacher noch der kleinsten Gestalt zukommen lässt, prägte auch die Wiedergabe des Violinkonzertes seines Vaters Boris Blacher. Blacher vertritt in dem 1948 geschriebenen Stück eine Weill vergleichbare Virtuosität, eingebettet in eine packende rhythmische Motorik. Auch hier beeindruckte das äußerst genaue Zusammenspiel mit dem Orchester.
Enttäuschend lediglich die deutsche Erstaufführung eines Stückes der Australierin Elena Kats-Chernin. Sie versucht mit „Zoom and Zip“ einen stilistischen Cross-Over mit einer höchst fragwürdigen theoretischen Haltung: Sie „schätze komplexes Komponieren“, sagte sie in einem Interview, aber „meine Musik soll das Publikum unmittelbar ansprechen“. Das tut sie denn auch, produziert peitschende Rhythmen unterschiedlicher Herkunft, Tanzpalastmelodien und „straußt“ (nach Richard) am Ende gewaltig vor sich hin.
„Richtig kitschig“, meinte eine Hörerin. So kann man es schon sehen. Insgesamt ein informativer, teilweise künstlerisch spannender, interpretatorisch brillanter Abend.
Ute Schalz-Laurenze
Das Weill-Festival endet heute um 11 Uhr in der Glocke mit dem Familienkonzert „Kleine Dreigroschenmusik“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen