Vergnügen statt Hitler

■ Das Festival Tanz Bremen begann fetzig mit der fulminanten Stephen Petronio Company

Erst während seines Medizinstudiums soll er mit Tanz in Berührung gekommen sein – soviel zum Sinn von workshops. Dort wurde sich Stephen Petronio das erste Mal seiner Beine bewusst, angeblich. Nun füllt er in New York, London, Paris die größten Säle, schlägt sich bestens durch mit der kärglichen staatlichen Unterstützung, wie sie in der USA gute Sitte ist, und hat sich gerade einen gebrochenen Mittelfußknochen zugelegt – die Archillesferse von Tänzern.

Nach einer etwas langen, etwas gestelzten Eröffnungsrede voller gesetzter Vokabeln wie „würdiger Auftakt“, „Doktor“ (Scherf nämlich) und „abermals“ (vorerst ist die Existenz des Festivals nämlich gesichert), nach der Beglückung des Publikums durch Dr. Scherf und sein Kokettieren mit seinem wahrhaft schlechten Englisch (für den US-Konsul), eröffnete also die Stephen Petronio Company das Festival „Tanz Bremen“ oder „Tanz 2000“ (noch herrscht bei Presse und Veranstaltern nicht allerletzte Klarheit über die Betitelung). Im großen Haus am Goetheplatz. Das Festival steht unter dem Motto „Männer“, und die Aufführung hatte damit genau so viel zu tun, dass männliche Wesen auf der Bühne in Bewegung waren. Ansonsten ist der Tanz der Company inhaltslos und rein geworden wie ein abstraktes Gemälde. Auch wenn die pathetischen Titel etwas anderes behaupten; auch wenn Petronio in anderen Aufführungen schon mal Flieger, Bomben, Sternenhimmel und Begriffe wie Hitler, Stalin, „me“ und „not me“ auf die Rückwand projizierte; auch wenn er schon mal zu Deutungszwecken auf Dantes Höllenkreis verwiesen hat; auch wenn ihm nachgesagt wird, dass er sich seinen bad-gay-guy-Ruhm durch einen Anti-Thatcher-Bühnen-live-Fick mit seinem Lebensgefährten hart erarbeitetet haben soll.

Acht Tänzer bewegen sich im ersten Stück vor dem schwarzen Nichts der Bühnenwand so vielstimmig wie eine komplizierte Bachfuge. Zwei, drei, vier davon – egal ob Mann oder Frau – tun einen kurzen Moment lang dasselbe, um anschließend wieder eigene Wege zu gehen oder die/den Bündnispartner zu wechseln. Wie in barocker Polyphonie nimmt man aufeinander Bezug durch Verdoppelung, Ähnlichkeit, Gegensatz, Umkehrung. Überfordert aber fühlt sich der Betrachter bei solcher Komplexität nicht. Denn dieser Tanz ist von so sog-artiger Rhythmik wie die dazugehörige Musik: mal vom minimal-music-Vertreter Michael Nyman, mal vom – nennen wir ihn verdachtsweise einmal Trance-TripHopper – David Linton. Diese poppige Zeitgeistigkeit der Musik fügt sich aufs Glänzendste zu eher konservativem Tanzstil. Statt dem Krümmen, Zucken, Puppespielen, Zusammenklappen, Auseinanderfallen etc. des modernen Tanztheaters regiert hier der gestreckte, gen Himmel strebende Körper. Und fast bei jedem Hauptschlag der Musik findet sich irgendeinE TänzerIn, welcheR die Arme schwungvoll öffnet, mal mehr in die Horizontale, mal mehr nach oben. Wenn der Vergleich nicht gar so mies wäre, könnte man sagen, die TänzerInnen wirken wie dynamisierte Verkehrsampel-Polizisten.

Szenen, die psychologisch gedeutet werden können oder gar den Beziehungstrouble draußen auf der Straße und in den Wohnzimmern darstellen, bleiben Ausnahme. Alles ist einfach nur sehr schön, sehr kraftvoll, sehr meditativ. Ein Kollege meinte, als Dauereinrichtung einer Stadt würde Petronio wohl langweilen. Zu wenig Abwechslung. Sein erster Auftritt aber wurde heftig bejubelt – von Jung und Alt. bk