: Der kluge Plan der Eisenbieger
Nach dem 2:0 gegen die Champions-League-Helden von Bayern München freut sich Stuttgarts Trainer Rangnick über die Früchte eines Psychotricks und die wieder gewonnene Einheit seines Teams
aus StuttgartTHILO KNOTT
Der Erfindungsreichtum der Bundesliga-Trainer kennt keine Grenzen mehr. So ein Spiel lässt sich heutzutage nicht mehr nur auf 90 Minuten reduzieren. Alles beginnt mit der Vorbereitung, denn Fußball ist mittlerweile auch eine Sache des Kopfes. Scherbenlaufen und Kabinen-Musik à la Christoph Daum sind ja allseits bekannt. Nun griff auch VfB Stuttgarts Übungsleiter Ralf Rangnick am Vorabend der Partie gegen den FC Bayern München ganz tief in die psychologische Trickkiste. Was er hervorzauberte, waren Eisenstangen namens ST 37. Die waren mit bloßen Händen einfach nicht krumm zu kriegen. Nur eingespannt zwischen zwei Stuttgarter „Eisenbiegern“ bogen sich die Stangen. Augenzeuge und VfB-Eigengewächs Roberto Pinto war baff: „Ich wollte einfach nicht glauben, dass das funktioniert.“
Was das mit dem Süd-Schlager gegen den Bundesliga-Spitzenreiter zu tun hat, liegt auf der Hand: Wer der Eisenstangen Herr wird, der hat auch vor den großen Münchnern, die gerade in der Champions League Real Madrid vorführten, nichts zu befürchten. Pinto sagte nach dem 2:0-Sieg vor 46.500 Zuschauern im Neckarstadion durch Tore von Krassimir Balakow (50.) und Krisztian Lisztes (69.): „Jeder hätte doch sowieso erwartet, dass wir gegen die Bayern mit 0:5 vom Platz gehen.“ Sind sie aber nicht. Und wie zur Beweisführung für die durchs Eisenbiegen gewonnene mentale Stärke trug Heiko Gerber das ominöse ST 37 durch die Katakomben. In U-Form, versteht sich.
Jetzt würde man dem überzeugenden Erfolg des Vereins für Bewegungsspiele freilich nicht gerecht, das Husarenstück nur mit schnöden Eisenstangen zu erklären. „Es war die ideale Mischung aus Entschlossenheit, Leidenschaft und einem Plan, den wir über fast 80 Minuten eingehalten haben“, sagte Ralf Rangnick. Der Plan war’s vor allem: Der Stuttgarter Trainer bot eine Viererabwehrkette, ein kompaktes Mittelfeld und nur einen Stürmer auf. Eigentlich ist das 4-5-1-System eine klassische Variante für fremde Terrains. Doch die Stuttgarter entwickelten damit gehörig Offensivgeist.
Zum einen gewann der VfB die große Mehrzahl der Zweikämpfe, zum anderen hatten die Bayern erstaunliche Probleme mit der variablen Kreativabteilung. Mal waren es Pinto und Gerber auf den Außenbahnen, mal waren es die Inspirateure Lisztes und Balakow, die Stürmer Viorel Ganea auf formidable Weise unterstützten. „Die Stuttgarter waren den berühmten Schritt weiter und schneller als wir“, musste Münchens Trainer Ottmar Hitzfeld neidvoll anerkennen.
Und das stellte Stuttgarts Coach Ralf Rangnick zufrieden: „Wir haben uns als Einheit präsentiert, das ist neben dem Sieg das Wichtigste.“ Auf den Zusatz kommt es an: Zu Beginn der Rückrunde nämlich, mit vier Niederlagen in Folge, war von „Einheit“ kaum etwas zu spüren. Die Querelen um Präsident Mayer-Vorfelder übertrugen sich auf die Mannschaft, gipfelnd in der peinlichen Heimniederlage gegen Aufsteiger SpVgg Unterhaching. Viel wurde diskutiert über die Bestallung des Mittelfeld-Regisseurs: Lisztes oder Balakow? Lisztes und Balakow? In Rangnicks 4-5-1-System haben nun beide Platz gefunden. Es war wohl eine Genugtuung für den Stuttgarter Vorarbeiter: „Der Erfolg ist keine Frage der nominellen Spieler, sondern ein Frage, wie die Spieler ihre Rolle interpretieren und ausfüllen.“
Nur so ist der Erfolg über den FC Bayern München zustande gekommen, denn der amtierende Deutsche Meister hatte zwar Namen zu bieten, aber wenig Höhepunkte. Natürlich bis auf einen: den Abschied von Lothar Matthäus vom Bundesliga-Geschäft. Nach 55 Minuten ging der Rekordnationalspieler vom Platz – schnurstracks zur eigens eingerichteten Pressekonferenz. Natürlich werde er so manches vermissen, „die deutschen Stadien, die Fans, den FC Bayern“. Vermisst aber hat Matthäus vor allem eines: „Ich hätte zum Abschied gerne gewonnen.“ Nur: Gegen Stuttgarter Eisenbieger ist eben selbst ein Lothar Matthäus nicht gefeit.
VfB Stuttgart: Wohlfahrt – Thiam, Berthold, Bordon, Schneider – Pinto (89. Kuka), Lisztes, Soldo, Balakow (90. Endress), Gerber – Ganea (87. Dundee)Bayern München: Dreher – Matthäus (55. Andersson), Linke – Salihamidzic, Jeremies, Effenberg, Tarnat, Lizarazu – Santa Cruz (67. Elber), Jancker, Scholl (63. Sergio)Zuschauer: 46.500; Tore: 1:0 Balakow (51.), 2:0 Lisztes (69.)
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