: Gleich oder anders?
Frauen dürfen in die Bundeswehr. Frauen dürfen in die Chefetagen. Und ihre Kinder in Teilzeit erziehen. Sehen so feministische Träume aus?
Als die Macher der Zeitschrift Konkret vor sieben Jahren einen Kongress über „Bedingungen und Möglichkeiten linker Politik und Gesellschaftskritik“ organisierten, nahmen sie ein Diskussionsforum zu frauenpolitischen Fragen in ihr Programm auf. Der Titel lautete „Konservative Wende im Feminismus?“ (1) Als Symptom dieser Wende galten den Konkret-Machern zwei Bewegungen: zum einen die größer werdende Akzeptanz weiblichen Emanzipationsstrebens in bürgerlichen Kreisen, zum anderen eine Strömung innerhalb des Feminismus, die, indem sie Frauen eine grundsätzlich andere Lebenseinstellung und -erfahrung zuwies als Männern, in ihren schlimmsten Ausprägungen ins Esoterische und Irrationale kippte.
Das eine hing mit dem anderen zusammen: Indem manche Feministinnen im Namen der Differenz eine spezifisch weibliche Natur kultivierten, machten sie es der CDU leicht, die Frauenpolitik für sich zu entdecken. Denn Frauenbelange ließen sich angesichts der neuen theoretischen Entwürfe ohne große Umstände der Familienpolitik einverleiben.
Unterdessen stand es um die klassischen, an Gleichstellung orientierten feministischen Forderungen mehr als schlecht. Von der Abschaffung des Paragrafen 218 waren Frauen weiter entfernt denn je, und die Entlassungswelle in den neuen Bundesländern bedingte eine so massive Rückkehr an den Herd, wie sie selbst die konservativste Familienpolitik nicht zu erträumen gewagt hätte. Als politisches Projekt war der Gleichstellungsfeminismus von der Bildfläche verschwunden, als diffuse Bedrohung kursierte er nurmehr in den Tiraden rechter Intellektueller, die die kläglichen Überreste linker Politik wahnhaft zu einer Erfolgsgeschichte umdeuteten: „Feministisches Gedankengut ist, getarnt als ‚Gleichstellung von Mann und Frau‘, mittlerweile in Parlamente, Koalitionsvereinbarungen, Gesetzgebung und Wirtschaft eingedrungen. Von dort aus beginnt der sexistische Virus unsere Gesellschaft zu spalten, Frauen und Männer zu entsolidarisieren“, klagte Felix Stern in dem Sammelband „Die selbstbewusste Nation“. Angesichts der realpolitischen Verschlechterungen, mit denen es Frauen 1993 – drei Jahre nach der Wende, zu Hochzeiten der Ära Kohl – zu tun hatten, waren die Spekulationen der Konkret-Macher mindestens gewagt. Heute sieht das anders aus.
Obwohl – oder gerade weil – mit dem Regierungswechsel Bewegung in die frauenpolitische Ödnis kam, trifft die These von der konservativen Wende eher zu als zu Beginn der 90er. Von den autonomen Frauenprojekten sind gegenwärtig keine Anstöße zu erwarten, verwenden sie doch ihre Energien darauf, die notorische Geldnot zu bewältigen. Alice Schwarzer feiert die Verdienste Leni Riefenstahls, Postfeministinnen wie Susanne Weingarten und Marianne Wellershoff reden zwar einer neuen Frauenbewegung das Wort, predigen aber im selben Atemzug, dass jede ihres Glückes Schmiedin sei. Die offizielle Frauenpolitik orientiert sich unterdessen an einem Karrierefeminismus, der bar jeden gesellschaftskritischen Ansatzes ist. Frauen in der Bundeswehr? Kein Problem. Frauen in den Chefetagen? Mehr davon. Angela Merkel als CDU-Vorsitzende? Der Gipfel der Emanzipation. Frauen können alles, was Männer auch können, und nichts sollte sie daran hindern, es zu tun.
Die einzige Bastion, an der die Gleichstellungsbemühungen abprallen, ist die katholische Kirche, und das liegt nicht zuletzt daran, dass die Kleriker eine umfassende Neugestaltung ihrer Institution für überflüssig halten. Überall sonst werden Frauen als Trägerinnen von Modernisierung begrüßt. Dass sie die Armee effektiver und humaner machen, ist zwar ein Irrglaube, der spätestens dann zerschellen sollte, wenn sexuelle Übergriffe und Mobbing ruchbar werden (2). Aber es ist ein sehr hartnäckiger Irrglaube, ähnlich der Mär vom weiblichen Führungsstil, der Hierarchien durchlässiger mache und das jeweilige Unternehmen belebe. In diesem Sinne äußert sich beispielsweise Hans Böhm, der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Personalführung: „Seit Jahren bin ich der Überzeugung, dass der immer schärfer werdende Wettbewerb unsere Wirtschaftsunternehmen zwingt, alle erreichbaren menschlichen Ressourcen und Potenziale zu erschließen und voll zu entfalten.“ Gerade die „geschickte Kombination unterschiedlicher Gruppen-Charakteristika“ führe „zu unschätzbaren Stärken und mithin zu Vorteilen im globalen Wettbewerb“.
Dagegen ist insofern wenig einzuwenden, als die Geschlechtszugehörigkeit kein Grund für Ausschluss sein darf. Und auch keine Verpflichtung, auf Grund erlittener Diskriminierung einen moralisch höherwertigen Standpunkt einzunehmen. Weder ist einzusehen, warum sich Frauen, die Karriere machen wollen, an einer gläsernen Decke den Kopf blutig stoßen, noch ist hinzunehmen, dass Frauen um die Privilegien einer Bundeswehrlaufbahn – etwa um ein Studium bei gleichzeitiger Soldfortzahlung – gebracht werden.
Ob jedoch eine Politik, die das bedingungslose Vordringen in Männerdomänen zu ihrer einzigen Vision erhebt, wirklich noch die Bezeichnung emanzipatorisch verdient, ist eine andere Frage. Wie vielen Frauen stehen Führungspositionen offen in Zeiten der Bricolage-Biografien, der Massenarbeitslosigkeit und der Mac-Jobs? Und wie fühlt sich der Feminismus an, wenn er, in der Chefetage angelangt, Entlassungen oder Outsourcing und damit eben auch eine Verschlechterung von Arbeitsbedingungen für Frauen mit sich bringt? (3)
Eine weitere ungeklärte Frage ist, ob Frauen tatsächlich dafür sorgen, dass die Institutionen, in die sie vordringen, anders, weniger hierarchisch, humaner würden. Vorausgesetzt wird dabei eine fundamentale Unterschiedlichkeit der Geschlechter, wie sie vom Gleichstellungsfeminismus ja gerade bestritten wird. Und um die Frauen, die von dieser Andersartigkeit ausgehen, ist es in letzter Zeit recht still geworden. Der Differenzfeminismus, der als Widerpart zum Gleichstellungsfeminismus in den 80er-Jahren in Mode kam, spielt keine Rolle in der gegenwärtigen frauenpolitischen Diskussion, in der theoretischen Auseinandersetzung ist er längst vom Gender-Diskurs überholt worden.
Seinen Anhängerinnen, die sich bald auf die französische Psychoanalytikerin Luce Irigaray, bald auf die Veroneser Diotima-Gruppe und die Schriften der Mailänder Libreria delle donne beriefen, ging es um die Anerkennung und Aufwertung einer spezifisch weiblichen Lebenserfahrung. Die Lösung der Geschlechterfrage zeichnete sich in ihren Augen nicht dort ab, wo Frauen versuchten, es den Männern gleichzutun, sondern dort, wo sie ihre Besonderheit akzeptierten und zur Grundlage ihres Handelns und Denkens machten.
Die Ursache dieser spezifischen Frauenidentität lag für Irigaray in anatomischen und physiologischen Gegebenheiten: „Ich meine, selbst wenn ein Geschlecht sich subjektiv mit dem anderen identifizieren kann, ist ihm dies objektiv nicht möglich. Das heißt konkret, dass ein Körper objektive geschlechtsspezifische Eigenheiten besitzt, die sich einer subjektiven Angleichung oder Identifikation widersetzen.“ Dass sich solche Argumente leicht im Sinne eines misogynen Biologismus ummünzen lassen, schien Irigaray nicht weiter zu stören.
Heute ist der Differenzfeminismus nurmehr als leises Echo zu vernehmen, etwa wenn sich die Legitimation für politischen Protest aus der Mutterschaft speist wie im Fall der Initiative „Mütter gegen den Krieg“, die sich vor einem Jahr gegen den Kosovokrieg formierte (4). Mitunter schöpfen auch Feminismuskritikerinnen wie Elizabeth Fox-Genovese (5) aus dem differenzfeministischen Argumentationsangebot. Die US-amerikanische Historikerin lastet der Frauenbewegung an, „die Bedeutung, die Frauen der Geburt und dem Aufziehen von Kindern beimessen, herunterzuspielen. Frauen sollen, wie Männer, die Freiheit haben, beruflich so hart zu arbeiten, wie sie wollen. Aber Kinder sind für die meisten Frauen der Mittelpunkt ihres Lebens.“ Insofern nehme es nicht wunder, wenn immer weniger Frauen sich mit einem als männer- und kinderfeindlich empfundenen Gleichstellungsfeminismus identifizierten. Statt Ganztagsstellen und Karriere bräuchten Frauen flexible Arbeitszeiten und Teilzeitjobs, also berufliche Laufbahnen, die auf die Mutterschaft Rücksicht nehmen. Die – äußerst verhalten geführte – Debatte um ein Erziehungsgehalt knüpft, wenn auch unter der Prämisse des europäischen Sozial- und Wohlfahrtsstaates, hier an (6).
Ähnlich argumentierten schon die Unterzeichnerinnen des Müttermanifests (7), das 1987 dem Projekt der Gleichstellung eine Absage erteilte: „Es wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein, das Ghetto der Nichtmütter wie auch das Aquarium der Karrierefrauen zu verlassen und eine neue Debatte über einen erweiterten, ökologischen, zukunftsweisenden Emanzipationsbegriff zu führen. Eine Reduktion von Frauenperspektiven auf Quotierung und das Recht auf Abtreibung wird diesen Dimensionen und Erfordernissen in keiner Wiese gerecht. Ebenso ungenügend ist es, Politik für Mütter allein am Maßstab der Überwindung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zu messen. Erst eine Stärkung von Müttern in ihrer Ausgangsposition kann eine Basis für konstruktive Annäherung der Geschlechter sein.“
Im Müttermanifest, bei Fox-Genovese und anderen Differnzfeministinnen, erscheint als unabwendbare Tatsache, dass Frauen Kinder bekommen, sich um sie kümmern und deswegen fundamental anders als Männer sind. Man kann dem entgegenhalten, dass, wer die Aufwertung von Mutterschaft und Familienarbeit fordert, sich den Rückzug in die angestammte Frauenrolle schönredet. Angesichts der Erkenntnis, dass Unabhängigkeit und ein emanzipiertes Leben Kraft, Nerven und Energie kosten, mag es verheißungsvoll scheinen, sich auf eine spezifische, weniger aufreibende Frauenidentität zurückzubesinnen. Ein Tribut an den gesellschaftlichen Status quo, der sich auf strukturelle Arbeitslosigkeit längst eingestellt hat. Um so besser also, wenn Frauen sich aus freien Stücken aus der Erwerbstätigkeit zurückziehen. In diesem Sinne greift denn auch die postfeministische Haltung, heutzutage habe jede Frau die Freiheit, ihren Lebensentwurf zu wählen, viel zu kurz: Politische Probleme werden individualisiert.
Was wäre nun nötig und wünschenswert – jenseits von Differenzdenken und Karrierefeminismus? Mit einer emanzipatorischen Perspektive, die sich zu gesellschaftskritischer Analyse nicht zu fein ist und die dem Wirklichkeitssinn der gegenwärtigen Diskussionen einen Möglichkeitssinn entgegenstellt, ohne deswegen in Heilsversprechen oder Matriarchatsfantasien zu münden, wäre schon einiges getan. Vielleicht wagt ja mal wieder jemand – und sei’s nur als Denkexperiment –, eine Forderung wie die nach der Vereinbarkeit von Familie und Lohnarbeit auf den Kopf zu stellen, wie es die Autorin Cornelia Eichhorn (8) einmal in einem Interview tat: „Wenn ich diesen Slogan höre, könnte ich kotzen, weil da zwei ganz schreckliche Sachen bestätigt sind: die Familie und die Lohnarbeit. Ich will beides nicht, also was soll ich mit Vereinbarkeit?“
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