: Wenn Häkkinnen erst mal mobil komponiert
Nanoloop, die Interface-Studie von Oliver Wittchow, ist das ganz andere Elektronikspielzeug. Seit drei Jahren formiert sich via Internet eine höchst inoffizielle Bewegung mit dem Ziel, den Gameboy auf eigene Faust bis an seine Grenzen zu bringen
von SEBASTIAN HANDKE
Computergestützte Animationstechnik hat uns viele Einsichten geschenkt. In jüngster Zeit lenkte „Toy Story“ den Blick auf die Sorge der Spielsache an sich. Wenn der oder die Pubertierende in das Reich des Erwachsenen vorzustoßen droht, kommt es zu dramatischen Szenen bei der Ausrangierung langjähriger treuer Mitarbeiter am Projekt der Ausstattung von Kindheit. „Toy Story 2“ führt uns ein in die Angst der Actionfigur vor dem verstaubten Ende in einer Ecke des Kinderzimmerschranks, bevor sie schließlich zu entwürdigendem Preis auf dem Flohmarkt feilgeboten wird oder als Ausstellungsobjekt in einem japanischen Museum endet.
Woody hat Pech. Seinem Schicksal entrinnt er nicht, auch wenn ihm der Film Aufschub zu gewähren scheint. Da kann man sich glücklich schätzen, wenn man zu einer Spielzeuggeneration gehört, die durch die Trennung von Hard- und Software bessere Ausgangsbedingungen zugedacht bekam. Bei neuer Reife erfolgt der Programmaustausch. Die herstellende Industrie ist auch hier bemüht, die Entwicklung des Sprösslings mit klaren Altersempfehlungen zu strukturieren – denn das ist pädagogisch wertvoll und hält die Absatzspirale in Gang. Motor des Ganzen ist die Evolution der Prozessorgenerationen. Eigenhändiger Softwareaustausch oder zweckentfremdender Missbrauch machen allerdings aus abgelegten Lieblingsdingen auch das Rohmaterial für neue Verwendungen.
Zum Beispiel der Gameboy. Einmal war er schon tot und kam dann doch in Farbe wieder. Auch er hat so seine kritische Phase: Mit 12 oder 13 Jahren wechselt das Kind gerne zur Spielkonsole oder zum inzwischen spieletauglichen PC. Dabei haben uns Studien mit der Tatsache vertraut gemacht, dass Erwachsene am Gameboy wesentlich suchtgefährdeter sind als der Nachwuchs. Konsequenterweise formierte sich vor etwa drei Jahren via Internet eine höchst inoffizielle Bewegung mit dem Ziel, das japanische Mobilspielgerät auf eigene Faust bis an seine Grenzen zu bringen. Neben selbst geschriebenen Spielen und kleinen Verbesserungen der Standardsoftware gibt es inzwischen rekalibrierte Gameboys als Temperaturmesser, Stoppuhren oder Taschenrechner; als lernfähige Fernbedienungen und als unvermeidliche MP3-Player; es gibt Gameboys, die sich ins Internet einwählen und per Piepton angeben, wie viele E-Mails dort lagern – und sogar ein Patent für den Gameboy als „medical modular diagnostic system“ , beispielsweise für die Blutzuckerselbstdiagnose.
Eine ganz besonders ambitionierte Variation ist der Fish Finder. Ein 16 Zentimeter langer Sonarecho-Zylinder ortet auf dem Wasser schwimmend seine Opfer und gibt die Signale an den Gameboy weiter: Das LCD-Display mutiert zum Radarschirm, der Gameboy kehrt in den Schoß der Militärtechnik zurück. Wem das Anglerglück trotzdem abhold ist, kann in den Spielmodus zurückschalten und elektronische Fische ärgern.
Für vielseitige Selbstermächtigung bietet der Gameboy einige Vorzüge: Er kostet wenig, er ist tragbar, er hat ein simples Eingabe-Interface und Stereo-Sound, eine Standard-Schnittstelle und einen brauchbaren Prozessor (4 [!] Mhz). Vor allem aber: Es gibt technische Diagramme, Anleitungen, Innenansichten, Soft- und Hardware zur Programmierung bis hin zu kompletten Entwicklungsumgebungen zum Download im Internet – meist als Freeware, also umsonst. Das Mobilspielgerät wird aufgeschraubt, vermessen, frisiert und alles mit penibler Sorgfalt im World Wide Web dokumentiert. Ganze Gameboygroups haben sich zusammengeschlossen zum GB Developement Ring – ein Gruselkabinett ausnahmslos männlicher Nerds, die auch nach Feierabend auf das gewohnte Schrauben und Kompilieren nicht verzichten möchten.
Nanoloop aber ist anders. Nanoloop ist schick und schlank – und eine für die Hochschule für Bildende Künste in Hamburg entstandene Interface-Studie. Oliver Wittchow, Student der visuellen Kommunikation, erinnerte sich eines Tages an den herumliegenden japanischen Designklassiker und hatte Mitleid. Mit ein bisschen Hilfe der damals aufkeimenden Gameboy-Hacker-Szene machte er sich an die Arbeit und legte Hand an das Spielgerät. Auf dem Sofa sitzend wählte er mit dem Joypad Buchstabe für Buchstabe einzeln aus und verfasste so sein erstes Programm. Das ist zwar mühsam bis zur Gelenkentzündung, macht aber „auch besonders Spaß, weil die Idee des Hackens, die Geste der Selbstermächtigung, so direkt erfahrbar wird.“
Der ersten Begeisterung folgte die Professionalisierung. Zwei Jahre arbeitete Oliver Wittchow, nun allerdings am PC, an einem Programm, das Synthesizer (Klangerzeugung) und Sequenzer (Klangsteuerung) verband. Die Wahl war auf Musiksoftware gefallen, weil die verfügbaren Programme, vor allem angesichts der flexiblen Klangeigenschaften des Gameboy, dürftig und fantasielos waren. Der Lieblosigkeit des Industriestandards setzt der Hacker die Liebe zum Detail entgegen. Dabei sieht sich Wittchow nur bedingt als dieser Kultur zugehörig: „Dieses Pathos ist mir zuwider. Es ist nur eine Art, mit Sachen umzugehen und nicht zu glauben, was in der Gebrauchsanweisung steht.“
Die Hackerkultur hat Verwandte in der Sphäre der technoiden Klangforschung: Die Verwendung von Technologie gegen die Gebrauchsanweisung ist eine wichtige Umkodierungsstrategie in der elektronischen Musik. So wie HipHop den Plattenspieler als Musikinstrument missbrauchte, wurde ein für musikalische Alleinunterhalter konzipierter Ladenhüter unfreiwillig Quelle des typischen Acid-House-Sounds. Nun also grooved die steady bass drum aus dem Reich der Arcade-Games zu uns herüber. Unser Doktor der DJ Culture, Ulf Poschardt, schreibt, dass sich die erste Technogeneration Synthesizer und Sampler in einer spielerischen Weise aneignete: „wie den Gamboy“. Nanoloop sei Dank: Nun kann man das am Objekt selbst nachvollziehen.
Vor anderthalb Jahren beteiligte sich Wittchow mit einer noch sehr rudimentären Version von Nanoloop an einem Lo-fi-Wettbewerb im Dunstkreis des Kölner Liquid-Sky-Clubs. Air Liquide hatten zu einem Kräftemessen der Musikelektroniker aufgerufen, bei dem das Instrumentarium auf einer DIN-A4-Seite Platz haben musste. Für Nanoloop gab es ein großes Hallo und die erste produzierte Single. Inzwischen ist daraus ein Muster kleinteiliger Funktionalität geworden. Mit dem low-fidelen Techno-Tamagotchi können dank seines Speichers komplette dreistimmige Tracks produziert werden. Über das Gamelink-Kabel können sich Nanoloop-Duos für Liveauftritte synchronisieren; demnächst soll eine Website zum Songaustausch eingerichtet werden. Und die Klangresultate kommen gerade noch zur rechten Zeit für Lo-fi-Trend und Niedlichkeitselektronik.
In Kürze wird Nanoloop mit der Version 1.0 Marktreife erlangt haben. Das Problem ist nur, dass Gameboy-Hersteller Nintendo die Patente an der Cartridge-Technologie hält und Spiele eigentlich lizensiert werden müssen. Aus der Sicht des Herstellers ist es also gar nicht fein, wenn unkontrolliert Software verbreitet wird, ohne dass die (sehr hohen) Lizenzgebühren entrichtet werden. Was in den USA nicht mehr geht, ist in Europa und Japan nicht so leicht zu unterbinden. Oliver Wittchow verhandelt nun mit einem in Hongkonger Hersteller: Schon bald wird Nanoloop in kleiner Auflage produziert. Aber der Gameboy-Programmierer denkt schon weiter. Sein logisches nächstes Objekt ist das Mobiltelefon. Sein Traum: Anwendungen schaffen, bei denen über den neuen WAP-Standard eine kleine künstliche Intelligenz auf dem Handy und eine große künstliche Intelligenz auf dem WWW-Server zusammenarbeiten. Vielleicht in einem Programm, das dem Dilettanten beim Erstellen seines individuellen Klingelzeichens zur Hand geht, indem es aus dessen Fingerübungen seine Vorlieben extrahiert und daraus Algorithmen für die Komposition errechnet. Auf die Frage „Und was kann man noch damit machen?“ wird Häkkinnen dann für die Telekom antworten können: „Na, mobil komponieren!“
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