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Krücken statt Hüpfballett

■ Die Leiterin des Oldenburger Tanztheaters, Irina Pauls, geht nach drei Spielzeiten nach Heidelberg. Welch herben Verlust das für die norddeutsche Tanzszene bedeutet, zeigt derzeit ihre letzte Produktion

Ich habe noch nie erlebt, dass sich die Oldenburger zu stehenden Ovationen hätten hinreißen lassen. Bei „Morgen und Morgen“ war es so. Eine Frau neben mir hatte Tränen in den Augen. Diese bewundernde und verehrende Akzeptanz fällt umso mehr auf, als es in Oldenburg ja auch heftige GegnerInnen dieser Art von Theater gibt. Die Klientel, die gerne wieder so ein richtig hübsches Hüpfballett hätte, ist nicht gerade klein.

Das Thema von Irina Pauls' letzter Produktion für Oldenburg ist die Pflegebedürftigkeit von Menschen: äußerst heikel für eine künstlerische Umsetzung. Aber die Art, wie Pauls und die zehnköpfige Truppe das gestalten, hat alles: Ernst, Witz, Zärtlichkeit, Abwehr, Dramatik, Trauer und am Ende eine blumengetränkte, poetische Hoffnung, die vermitteln könnte, dass sowohl die Pflegenden als auch die Pflegebedürftigen davon etwas haben könnten. Doch bis dahin ist es ein langer Weg, und der wird an diesem Abend äußerst komplex beschritten.

Die Bilder wechseln zwischen Innen- und Außenräumen, und es kommt zu Szenen völlig unterschiedlicher Befindlichkeiten: Da ist die Frau, die diktatorisch ihre Pflegerin herbeizitiert, und zwar mit ihrem Krückstock, welcher sich beeindruckend einklinkt in die Schlagzeug-Rhythmen; das junge Mädchen ist hin- und hergerissen zwischen Da-Sein-Müssen und Weg-Wollen. Da gibt es die Szene, in der die Alten Gymnastik machen müssen, wunderbar karrikiert mit „Moin“ der Betreuerin. Die schlägt zum Antreiben eine Triangel, die auch sonst eine Rolle spielt: Sie markiert gleichzeitig das Gerät, mit dem man sich im Bett hochziehen kann. In einer anderen Szene sind eine beingeschiente Frau und ihre Helferin voller Trauer miteinander verschlungen; dann kommt es zu einem grandiosen Einbruch der Außenwelt in Form von zwei wirbelnd-trendy tanzenden Paaren; dies verstärkt die unlösbare Einsamkeit der Kranken mit der Pflegerin: Dieses Doppelbild ist eines der stärksten Eindrücke des Abends.

Die TänzerInnen machen das wunderbar, in der Körperarbeit, in der Raumaufteilung, in der sehr individuellen Expressivität: Es gibt ja richtige Rollen. Im einfachen, aber umso wirkungsvolleren Bühnenbild von Katja Schröder spielt der Schlagzeuger Axel Fries Live-Musik, mit der er sich sozusagen in die Choreographie einbindet. Seine deutliche, aber unaufdringliche Musik ist immer höchst empfindlich sowohl in der Reaktion als auch im Geben von Impulsen. Dass für das Schlussbild eine tröstliche Arie von Georg Friedrich Händel gewählt wurde, trug perfekt zu dessen starker Wirkung bei.

Der Beifall sprach für sich: Irina Pauls, die in Oldenburg ihre erste selbständige Tanztheaterstelle hatte – sie war zuvor in Weimar und entwarf dort Choreographien für das Schauspiel – wird in Zukunft mit ihrem gänzlich eigenen, niemals plakativen, immer vielschichtigen Stil nicht mehr zu übersehen sein.

Ute Schalz-Laurenze

Nächste Aufführungen: am 18., 22., 25., 30. März, 11., 15. April, 20 Uhr

Wiederaufnahme alter Pauls-Produktionen: 5.4., 12.4., 21.4. Jedermann, 9.4., 14.4., 19.4. Nur einmal kommt

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