: „Wir wollen eine Marke sein“
Für die Gruppe „etoy“ ist die Zeit der alten Hackermoral auch in der Netzkunst vorbei. Das Internet ist heute kommerziell, und die Kunst muss sich auf die Regeln einlassen, die in der Werbung gelten: Wer sie am besten beherrscht, hat gewonnenInterview MICHAEL GENOVA
taz: Hinter dem Namen „etoy“ stehen Multimediaspezialisten aus Zürich, Manchester, Wien, Genf, San Diego und Monza. Sie treten öffentlich nur unter Pseudonym auf. Wer ist agent.zai?
agent.zai: Als gemeinsame Ausgangslage hatten wir bei unserer Gründung den Computer und die digitalen Medien.Wir waren damals ein Architekt, ein Anwalt, zwei Musiker, ein Mediendesigner und PR-Mann. Wir haben bemerkt, dass sich in unseren Arbeitsbereichen sehr viel bewegt. Der Computer beeinflusste zunehmend die Produktion und dadurch den Output.
Wir haben von Anfang an den Computer nicht nur als Hilfsmittel, sondern als primäre Arbeitsumgebung verstanden, die unsere Lebensweise und unsere Arbeit massiv mitbestimmt. Deswegen bauten wir den Computer fest in unser Konzept ein. Das hat dazu geführt, dass uns rasch klar wurde, dass wir nur als Team, als Verbindung verschiedener Experten, funktionieren können.Daraus entwickelte sich die Grundidee, nicht einzelne Künstler in den Vordergrund zu stellen, sondern eine Firma zu gründen. Wir fassen diese Idee unter dem Begriff „Brand“ zusammen.
Unser Ziel ist es, eine Marke aufzubauen. Deshalb treten wir als Firma auf, und deshalb sind wir als Firma organisiert.
Der erste Welterfolg hieß „digital hijack“. Besucher großer Suchmaschinen wurden auf die Site von etoy entführt. Dafür vergab die Ars electronica 1996 einen Preis. Im letzten Herbst erhob der amerikanische Spielwarenhändler Etoys.com Anspruch auf den Domain-Namen www.etoy.com und ließ die etoy-Site per einstweilige Anordnung blockieren. Die Antwort war der „toywar“ – eine Plattform im Web, auf der etoy freiwillige Söldner für den Kampf gegen den E-Commerce-Giganten rekrutierten. Ein Krieg gegen Kommerz und Missbrauch des Netzes?
Das Herz unserer Operationen ist und bleibt der Server. Er bildet das Zentrum unserer Abenteuer. Eine unserer Botschaften oder eher Slogans lautet: „Entertainment on a higher level of human intelligence“. Am Anfang haben wir den Begriff Kunst ganz abgelehnt. Mittlerweile glauben wir aber, dass unsere Projekte sehr wohl etwas mit Kunst zu tun haben.
Dabei ist uns aber wichtig, den Begriff Kunst nicht elitär verstanden zu wissen. Wir haben verschiedenste Phasen durchgemacht und uns verändert. Gleichzeitig haben wir uns immer bemüht, dass die Themen, mit denen wir uns beschäftigen, immer ein wenig umstritten sind. Das ist der Punkt, worin wir uns vom harten Kern der Netzkunstszene unterscheiden. Unserer Meinung nach ist dieser harte Kern relativ leicht einzuordnen. Er repräsentiert das „alte Netz“ mit einer oft recht klar ersichtlichen Ethik.
Wenn man Arbeiten von Heath Bunting und ähnlichen Netzkünstlern betrachtet, dann erscheinen diese uns oft zu einfach. Viele Repräsentanten des so genannten „alten Netzes“ beklagen oft die fortschreitende Kommerzialisierung des Internets und die schlechte Qualität seiner Inhalte.
Wir hingegen haben immer darauf abgezielt, die Zwiespältigkeit, in der wir uns befinden, zu thematisieren. So einfach funktioniert die Welt nun mal nicht. Wenn man einerseits fordert, dass das Netz allen zugänglich sein soll, dann heißt das andererseits auch, dass alle daran teilnehmen werden, vom Briefmarkensammler bis zum Kleinwagenhändler. Uns genügt es nicht, das „neue Netz“ und dessen fortschreitende Kommerzialisierung von vornherein zu verurteilen. Punktuell oder in spezifischen Bereichen kritisieren oder reflektieren wir bestimmte Entwicklungen. Wir wollen Dinge aber auf keinen Fall in einer dogmatischen Weise angreifen. Letztlich sind wir ein Teil der Vernetzung.
Manche sehen darin nur einen gut designten Hype. Was hat der Kampf von Markennamen mit Netzkunst zu tun?
Mit der Entscheidung, den Streit auszufechten, war für uns klar, dass wir diese Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit inszenieren würden. Viele Leute aus der Szene haben uns geraten, die für die Domain angebotenen 516.000 Dollar anzunehmen, die eine Hälfte für eine gute Sache zu spenden und mit der anderen Hälfte eine neues Kunstprodukt zu machen.
Wir sahen in dieser Situation aber ein riesengroßes Potenzial für eine Aktion. Es war eine mediale Performance, in real time und medial verfolgbar, ein Spiel mit der Öffentlichkeit, vor allem mit spezifischen Benutzergruppen. Uns reichte es, diese spezielle Ausgangslage zu nutzen, um ein Statement abzugeben: Das Netz wird immer noch und immer wieder falsch eingeschätzt. Viele Leute denken, dass das Internet mittlerweile mit Kommerz gleichzusetzen sei, und dass die Gemeinschaftsaspekte zu vernachlässigen seien. Wir haben das Gegenteil bewiesen.
Der Krieg der Spiele ist zu Ende, der Spielzeughersteller hat seine Klage zurückgezogen.
Die sind einfach naiv in die Falle getappt. Sie hatten ja auch nicht viele anderen Möglichkeiten. Wären sie klug gewesen, hätten sie uns einfach weitermachen lassen oder einige smarte Typen rübergeschickt. Wir sind nicht „anti-corporate“. Wir erheben nur den Anspruch, unser eigenes Spiel spielen zu dürfen. Und wenn uns jemand daran hindern will, wehren wir uns. Darin sind wir ehrlicher als andere Künstler Nicht in einem moralischen Sinne. Ein spezifisches Merkmal von Netzkunstprojekten, aber auch von kommerziellen Produkten ist das Ziel, die Menschen zu erreichen. Man nimmt zwar erhebliche Nachteile in Kauf. Am Bildschirm tauscht man sie ein gegen die Möglichkeit, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Branding, Value, Impact: dies sind ganz spezifische Netzparameter, durch die sich das Internet von anderen Kunstmedien unterscheidet.
Wir halten den ewigen Pessimisten entgegen und sagen, dass das Internet immer interessanter wird. Immer mehr Leute hängen an diesem Medium. Es gibt zwar auch immer mehr sinnlose Inhalte, und es wird immer schwieriger, sich zu orientieren.
Aber darin besteht ja gerade die Verschiebung der Werte. Unsere Gesellschaft besteht nun einmal aus tausenden von Splittergruppen. Man kann nicht dagegen ankämpfen, das wäre fast schon reaktionär. Wir behalten uns vor, unser Statement abzugeben Dies tun wir aber indirekt, nicht indem wir direkte poltische Statements abgeben. Wir haben zwar unsere politischen Grundlagen, sehen uns aber nicht als Realpolitiker.
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