: Wahl zwischen Kasper und Seppl
betr.: „Der Systemkritiker“, taz vom 7. 3. 00, „Vergebliche Blütenträume“, „Nicht jeder ein Verlierer“, taz vom 9. 3. 00
Die Vorwahlen zur Aufstellung der Kandidaten sind mittlerweile entschieden worden, was hoffentlich bedeutet, dass uns die taz zumindest in den kommenden Wochen mit der weiteren Vorstellung der Präsidentschaftsbewerber und einer kritischen Analyse des pseudopolitischen Geschehens verschont.
Beispiel Bewerber John McCain: Was haben wir über diesen Mann nicht alles erfahren. Dass er ein richtiger Systemkritiker ist. Weil er gegen die Wahlkampffinanzierung und die Verteilung von Steuergeschenken an spendenfreudige Interessengruppen gemosert hat. Dass er aber auch ein fanatischer Patriot, ein Fahnenfetischist ist, ein kalter Krieger und Fürsprecher der Waffenlobby, ein Todesstrafenanhänger sowieso (das ist so selbstverständlich, dass es keiner Erwähnung bedarf) – halt ein Systemkritiker. [...] 48 Stunden später dann werden wir darüber informiert und aufgeklärt, dass der Kandidat McCain so gut wie ausgeschieden ist aus dem Rennen ums/ ins Weiße Haus, dass seine Kandidatur aber dazu beigetragen hat, neue Themen auf die politische Tagesordnung zu setzen und Menschen für Politik zu interessieren, die sich längst abgewendet hatten. Und weil das so ist, erfahren wir, ist McCain auch kein richtiger Verlierer. Nur ein unverzagter Idealist, der das Amerika verkörpert, das so gern stolz und stark sein möchte.
Dieses Amerika hat jetzt die Wahl zwischen Gore und Bush, darf noch ein paar Monate Karneval feiern und muss dann die schwer wiegende Entscheidung teffen, welcher von beiden ins Weiße Haus einziehen soll, damit alles so bleibt, wie es ist: die Reichen ganz reich, die Armen ganz arm, die Streitkräfte unbesiegbar und das Hinrichten von Menschen ein Gebot des Rechts und der Gerechtigkeit. Ein Volk von infantilen Erwachsenen darf alle vier Jahre zwischen Kasper und Seppl wählen – und der Rest der Welt schaut gebannt zu. Könnte da nicht ausnahmsweise mal die taz aus der Reihe tanzen? UWE TÜNNERMANN, Lemgo
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